Woche gegen Rassismus 2019
Wenn Wände erzählen
Eine Zeitreise durch die Geschichte des ersten Jugendhauses der Schweiz
Das Basler Sommercasino ist über 195 Jahre alt. Die alte Villa am Rand der Stadt birgt eine Geschichte voller Höhen und Tiefen. Wir machen eine Reise zurück zu den Anfängen des Hauses und haben mit vielen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesprochen. von Hanna Girard
20.01.11 und 20.01.12 HörboX zum Basler Sommercasino
Das Sommercasino in Basel gehört für viele so sehr zur Stadt wie das Münster oder das Spalentor. Über 75 Jahre lang war die alte Villa zwischen Aeschenplatz und Münchensteinerbrücke, ausserhalb des Stadtzentrums, ein Jugendhaus. Doch diese Zeit beschreibt nur ein Bruchteil einer langen und bewegten Geschichte: Von Hochzeiten, Spieleabende der Basler Oberschicht, einer Flüchtlingsunterkunft zur Zeit des zweiten Weltkriegs oder ersten Konzerterfahrungen junger Musikerinnen und Musikern.
Der erste Kuss, das erste Mal auswärts tanzen gehen oder auf einer Bühne stehen: Es gibt in Basel wohl kaum jemanden, der keine Anekdote zum Sommercasino erzählen kann. 75 Jahre lang war die alte Villa ausserhalb der Basler Altstadt ein Jugendhaus, das erste der Schweiz. Es liegt zwischen dem Aeschenplatz und der Münchensteinerbrücke in einem grünen Park umringt von hohen Bäumen. Die einen nennen die alte Villa die Hochburg der Basler Nachwuchsförderung, die anderen bezeichnen sie liebevoll als den Ort ihrer Jugend.
Auch wenn das Sommercasino heute mit langen Nächten, Partys und Konzerten in Verbindung gebracht wird, ging es früher in der alten Villa sehr gesittet zu und her. Erbaut zwischen 1822 und 1824, diente die klassizistische Villa als Gesellschaftshaus der reichen Basler Oberschicht. Spielabende, Tanzveranstaltungen und Hochzeiten waren damals an der Tagesordnung.
Bis 1937 gehörte das Sommercasino der Stadtcasino-Gesellschaft. Dann kam die Gesellschaft in finanzielle Nöte und musste die Villa verkaufen. Während den Kriegsjahren lebten jüdische Flüchtlinge aus Deutschland im Sommercasino. Nur noch wenige wissen heute noch von dieser Zeit. George Hennig ist einer von ihnen. 14 Jahre lang leitete er das Sommercasino als Jugendhaus, organisierte Konzerte und Partys und koordinierte zahlreiche Freiwillige.
In den 1990-er Jahren nahm ein altes jüdisches Ehepaar Kontakt mit ihm auf. Die beiden lebten in Amerika und besuchten Verwandte in Basel. Sie waren aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Basel geflüchtet und wurden im Sommercasino interniert. Sie wollten die alte Villa noch einmal besuchen. "Beide waren sehr freundlich und neugierig", erinnert sich George Hennig. "Wir gingen gemeinsam durch das ganze Haus. Als wir in der Küche ankamen, mussten wir den Rundgang abbrechen. Es war wohl etwas zu viel für sie."
Auch Pia Spohn weiss noch von dieser Zeit. Heute ist die zarte Dame 84 Jahre alt. Sie ist adrett gekleidet, trägt einen feinsäuberlich geschnittenen Bob und hat wache, grüne Augen. Heute noch lebt Pia Spohn nur einen Steinwurf vom Sommercasino entfernt. Ihre Mutter kam als junge Frau aus Deutschland nach Basel und hatte regen Briefkontakt zu Bekannten und Verwandten aus ihrer Heimatstadt Mannheim. So wurde in Pia Spohns Elternhaus oft über den Krieg gesprochen. Kurz nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs erhielt Pia Spohns Mutter einen Brief von einem Bekannten aus Mannheim. Er war jüdischer Herkunft und hatte Deutschland als Flüchtling verlassen. In Basel angekommen, wurde er im Sommercasino untergebracht. Pia Spohn und ihre Mutter eilten dorthin und suchten ihn. Pia Spohn war zu diesem Zeitpunkt etwa vier Jahre alt.
Pia Spohn kann sich an einen hohen Zaun erinnern, der die Villa und den Park umgab. Durch die Maschen konnte sie hinüber zum Sommercasino blicken und sah im Park Leute auf und ab gehen. Nach kurzer Zeit entdeckten sie und ihre Mutter den Bekannten. Durch den Zaun konnte sich ihre Mutter mit ihm unterhalten. "Sie waren glücklich und traurig zugleich", erinnert sich Pia Spohn. Ihre Mutter hatte ihr eine Schokolade gegeben, die sie dem Herrn zuwerfen sollte. "Das hat aber erst nach einer Weile geklappt, da der Zaun sehr hoch war", erinnert sie sich.
Bis 1942 blieb das Sommercasino ein Internierungslager. Der Strom der Flüchtlinge ab. Die Schweiz hatte ihre Grenzen geschlossen. Eine kurze Zeit beherbergte die alte Villa ein Brockenhaus, dann lebten Sozialhilfeempfänger in den alten Zimmern. Das Sommercasino auf seinem ruhigen Hügel verwaiste und kam herunter. Die Treppenstufen der Veranda waren zerbrochen, die Fenster mit Holzplanken vernagelt. Die Regierung diskutierte sogar, ob man die alte Villa abreissen sollte.
Dann die Wende: 1962 übernahm die Jugendarbeit Basel die Villa und eröffnete darin das erste Jugendhaus der Schweiz. Das Sommercasino wurde herausgeputzt, renoviert und die Räume für ihre neue Nutzung umgebaut. Die alte Villa sollte ein Zufluchtsort für die Jugendlichen von Basel sein, ein Ort wo sie sich beschäftigen konnten. In den oberen Stockwerken wurden Ateliers eingerichtet. Dort konnte man Kerzen ziehen, töpfern, Theater und Billard spielen.
Ende der 1960-er Jahre war das Sommercasino einer der wenigen Orte, wo Jugendliche tanzen gehen konnten. Im Keller der Villa richteten ein paar junge Männer einen Club ein. Aus einer alten Tramführerkabine gestalteten sie ein DJ-Pult und legten an vielen Abenden moderne Musik auf: kein Jazz, kein Schlager. Endlich, dachten viele. Die Disco «Trämmli» prägte viele Generationen. Viele junge Baslerinnen und Basler lernten im Sommercasino das Nachtleben kennen, besuchten dort ihr erstes Konzert oder plauderten auf den Stufen der alten Veranda ganze Nächte durch.
Nicht nur erste Konzerte wurden besucht, scheue Küsse verteilt und Biere getrunken. Auch musiziert wurde viel. Das Sommercasino in Basel war und ist heute noch ein Tempel für Nachwuchsmusikerinnen und Nachwuchsmusiker. So verhalf der Nachwuchswettbewerb «Sprungbrett» beispielsweise Adrian Sieber, Sänger der «Lovebugs», zum ersten Mal auf die Bühne. Heute tourt er durch ganz Europa. Rückblickend zweifelt er daran, ob er den Sprung in die Musikerszene geschafft hätte, wenn er sich damals, 1993, nicht auf die Bühne des Sommercasinos getraut hätte: «Ich verdanke diesem Haus so viel. Dort habe ich so viel gelernt.”
Auch heute noch machen viele junge Leute im Sommercasino den ersten Schritt auf eine Bühne. Das Haus wird seit 2016 vom Verein Junge Kultur Basel betrieben und ist heute kein Jugendhaus mehr. Konzerte und Kulturveranstaltungen finden jedoch immer noch statt.
Sendetermine der Radiosendung zur Geschichte des Sommercasinos:
Erste Ausstrahlung:
Samstag, 11. Januar 2020, 16:00 Uhr, Radio X, Hörbox
Wiederholung:
Sonntag , 12. Januar 2020, 10:00 Uhr, Radio X, Hörbox
Dieser Beitrag ist Hanna Girards Diplomarbeit, die im Rahmen ihrer Ausbildung an der Schweizer Journalistenschule MAZ entstanden ist.
Herzlich dankt sie:
Dominik Asche, Danielle Bürgin, Benedikt Erni, Mich Gehri, George Hennig, Jennifer Jans, Ueli Jäggi, Thomas Jenny, Max Kaufmann, Matieu Klee, Patrick Künzle, Michaela Liechti, Claire Micallef, Melchior Quitt, Benedikt Pfister, Adrian Sieber, Pia Spohn, Philipp Thurnherr
Die Woche
Lesungen, Theater, Diskussion, Musik, Ausstellungen und vieles mehr: Die Woche gegen Rassismus 2019 in Basel bietet ein vielfältiges Programm, sie findet statt von: Montag, 18. März bis Sonntag, 24. März 2019
Radio X setzt in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Organisationen und Beteiligten ein Zeichen gegen Rassismus und andere Formen von Diskriminierung. Ziel ist es, die lokale Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren und gemeinsam in einen Dialog zu treten.
Während der ganzen Woche strahlt Radio X jeweils um 11:30 Uhr und um 16:30 Uhr thematische Beiträge aus.
Flyer Woche gegen Rassismus in Basel 2019
Medienmitteilung Woche gegen Rassismus 18.-24.3.19 mit Programm
Das Programm
Montag, 18. März 2019
Forumtheater "Sans Frontières" - Ein interaktiver Theaterabend zum Thema Diskriminierung und Rassismus.
19.30 Uhr, KLARA (Clarastrasse 13)
Eintritt frei.
Dienstag, 19. März 2019
Uni von unten: «Alltäglicher Ausnahmezustand: Racial Profiling in der Schweiz» mit Mohamed Wa Baile, Sarah Schilliger und Claudia Wilopo
19 Uhr, Internetcafé Planet 13 (Klybeckstrasse 60, 4057 Basel)
Eintritt frei.
Mittwoch, 20. März 2019
Liveübertragung Radio X, mit Interviews live vor Ort: Abendschule Import, Bla*Sh, Theater Niemandsland, Kulinarisches von Schnaboule Schnaboule und Musik zum Thema «Migration und Musik» mit Leila Moon.
17-22 Uhr, Keck Kiosk (Kaserne)
Ausstellung*: Bundes(asyl)lager- Zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregime Schweiz
ab 19 Uhr in der Carambolage (Erlenstrasse 34, 4058 Basel)
Donnerstag, 21. März 2019
Podiumsdiskussion «Racial Profiling» mit szenischen Sequenzen des Theaters Niemandsland.
Auf dem Podium: Michel Hostettler (Community Policing Kleinbasel), Tobias Burkhard (Ausbildungsleiter KaPo BS), Nahom Mehret (Schweizer, geb. in Eritrea), Yvonne Apiyo Brändle-Amolo (SP Politikerin Zürich, Künstlerin).
Moderation: Bernard Senn, SRF
Mit dabei: BastA!, STOPP Rassismus u.a.
19 Uhr, Offene Kirche Elisabethen
Eintritt frei.
Ausstellung*: Bundes(asyl)lager- Zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregime Schweiz
ab 19 Uhr in der Carambolage (Erlenstrasse 34, 4058 Basel)
Freitag, 22. März 2019
Bla*Sh, Legion Seven, Brandy Butler (CH)
Mehrstimmige Lesung, Performance, Konzert, Büchertisch
19 Uhr (Doors: 18.30 Uhr), Rossstall II, Kaserne Basel
Eintritt frei.
Ausstellung*: Bundes(asyl)lager- Zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregime Schweiz
ab 19 Uhr in der Carambolage (Erlenstrasse 34, 4058 Basel)
Samstag, 23. März 2019
Afrika-Stadtrundgang des Zentrums für Afrikastudien
The tour will take place in English and is free of charge. Reservations are requested but not required.
14 Uhr, meeting point: at the pyramides in front of the Offene Kirche Elisabethen
Offener Hörsaal: Interaktiver Parcours**, über Hürden und Weichen auf dem schweizerischen Bildungsweg
16.00-18.30 Uhr, Foyer Junges Theater Basel
Eintritt frei.
Ausstellung*: Bundes(asyl)lager- Zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregime Schweiz
ab 19 Uhr
Input: Wie die Schweiz Migrant*innen 2019 isoliert und verwaltet.
20 Uhr in der Carambolage (Erlenstrasse 34, 4058 Basel)
Sonntag, 24. März 2019
Afrika-Stadtrundgang des Zentrums für Afrikastudien auf Deutsch
14 Uhr, Treffpunkt: Pyramiden-Platz (Elisabethenstrasse)
Reservierung erbeten, aber nicht zwingend erforderlich.
Eintritt frei.
* Die Ausstellung beschäftigt sich mit der Neustrukturierung des Asylverfahrens und der Einführung der Bundeslager in der Schweiz. Mit der sogenannten Beschleunigung der Verfahren sollen Menschen effizienter verwaltet und ausgeschafft werden. Dafür nimmt das Staatssekretariat für Migration (SEM) Bundeslager in Betrieb, welche nicht nur die Unterbringung, sondern auch das gesamte Verfahren unter einem Dach zentralisieren und vereinheitlichen. Diese Praxis isoliert die betroffenen Menschen noch stärker vom Rest der Gesellschaft und lässt noch weniger Raum zur Selbstbestimmung. Um die Lagerpolitik umzusetzen, baut der Staat auf die Mitarbeit von Privatfirmen und NGOs.
** Bildungsparcours: Sprichst Du ausreichend Deutsch, um in der Schule mitzukommen? Wirst Du bei/auf deinem Bildungsweg unterstützt? Entsprichst Du den Bewertungskriterien des Schulsystems? Reicht das Geld für eine Ausbildung? Bringst Du die geforderten/nötigen Dokumente mit, um eine Ausbildung zu beginnen? Haben alle Menschen in der Schweiz dieselben Chancen auf Bildung? In einem interaktiven Parcours erfährst Du, welche Weichen gestellt werden und welche Hürden es zu überwinden gibt auf dem schweizerischen Bildungsweg. Ähnlich einem Leiter-Spiel, wirst Du, ausgestattet mit einer neuen Identität, unterschiedliche Aufgaben lösen, um Stufe für Stufe deinem Ziel näherzukommen.
Ausstrahlungstermine
Montag 18.3. - Sonntag, 24.3.19, täglich um 11.30 h (Wdh. 16.30 h)
Redaktionelle Beiträge auf Radio X zu diversen Themen in der Woche gegen Rassismus
u.a. mit FIASKO und STOPP Rassismus
Donnerstag 21.3., 18 h & Samstag 23.3.19, 13 h
Sendung X-Plus von Schüler/innen der FMS Münchenstein
Samstag 23.3., 16 h & Sonntag 24.3.19, 10 h
Ausstrahlung der Podiumsdiskussion zu "Racial Profiling" vom Donnerstag 21.3.19 in der Offenen Kirche Elisabethen
Kontakt
tatiana.vieira@radiox.ch
rebecca.haeusel@radiox.ch