
"Eine faire Form der Diskriminierung"
Eine "faire Form der Diskriminierung", geht das überhaupt? Kann Diskriminierung fair sein? Handelt es sich in diesem Artikel überhaupt um Diskriminierung oder geht es um eine normale, nicht-diskriminierende Praxis der Versicherungsbranche? von Marcello Capitelli
Fiona Müller, geboren am 1. Oktober 1978, hat ihren Führerschein am 1. September 2000 gemacht und fährt einen VW Touareg. Sie hat eine Autoversicherung abgeschlossen. Pro Jahr bezahlt sie 825.30 Franken Prämie.
Maria Meier hat am gleichen Tag Geburtstag und hat ihren Führerschein ebenfalls am 1. September 2000 gemacht. Sie fährt das gleiche Auto, ebenfalls unfallfrei. Sie lässt ihr Auto bei der gleichen Versicherung versichern und muss eine jährliche Prämie von 1334.30 bezahlen.
Der Grund für diese unterschiedlichen Prämien: Fiona hat einen Schweizer Pass, Maria hat einen albanischen Pass.
Diese Personen sind fiktiv, die Prämie aber ist real. Wer in der Schweiz ein Auto hat, aber keinen Schweizer Pass besitzt, bezahlt normalerweise viel höhere Prämien für die Autoversicherungen.
"Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte"
Als Cristina Bronner, Mitglied im Vorstand des Vereins Mitstimme, das Auto wechselte, holte sie sich Offerten von verschiedenen Autoversicherungen ein. "Eine Versicherung hatte meine Nationalität falsch eingetragen, anstatt Rumänien haben sie Schweiz geschrieben. Das ist mir zuerst gar nicht aufgefallen." Im Gespräch mit der Versicherung weist Bronner darauf hin, dass die Nationalität korrigiert werden müsse. Danach habe sich auch die Prämie verändert. "Die Offerte war danach 400.- Franken teurer. Wieso ist das so? Wieso gibt es aufgrund der Nationalität einen solchen Unterschied bei der Prämie? Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte."
Dieses Vorgehen sei diskriminierend, findet auch Tatiana Vieira, Co-Präsidentin des Vereins Mitstimme. Bevor sie im Besitz eines Schweizer Passes war, seien auch bei ihr die Prämien um 400.- höher gewesen. "Wir haben dieses Thema aufgegriffen und festgestellt, dass das ein strukturelles Problem ist", so Vieira. Der Verein strebe das Ziel an, dass die Nationalität als Faktor für die Prämienberechnung wegfallen müsse. "Wollen wir eine Schweiz sein, die kapp 40% ihrer Bevölkerung anders behandelt? Und zwar systematisch und im Rahmen der Legalität." In der EU ist das schon heute verboten.
Das Thema ist nicht neu auf der politischen Bühne. Es gab in der nationalen Politik schon Vorstösse von Gewerkschaften und Politiker:Innen zum Faktor "Nationalität" bei Versicherungsprämien. Der Bundesrat schrieb in einer Stellungnahme im November 2011: "(… )dass die bisher bekanntgewordenen risikobezogenen Tarifierungen, die unter anderem auch nach Nationalitäten unterscheiden, weder eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots noch eine unerlaubte Diskriminierung darstellen, sofern sie sich statistisch belegen lassen."
So gehen die Versicherungen vor
Autoversicherungen versuchen, das Unfallrisiko eines Autofahrers oder einer Autofahrerin bestmöglich zu erfassen. Seit Jahrzehnten sammeln Versicherungen dafür Unfalldaten, von Alter über Geschlecht, seit wann die Person im Besitz des Führerscheins ist, dem Familienstand bis hin zur Staatsangehörigkeit. "Die Nationalität macht neben anderen Kriterien einen signifikanten Unterschied", sagt Versicherungsexperte Martin Eling, "Deshalb geht dieses Kriterium in die Festlegung der Prämienhöhe mit ein."
Dafür bilden Versicherer Risikogruppen, welche Risiken mit ähnlichen Merkmalen zusammenfassen. So können bei einer Versicherung beispielsweise Frauen in einer anderen Risikogruppe sein wie Männer und Albaner in einer anderen Gruppe wie Schweizer.
"Die Versicherer gewichten diese Kriterien entsprechend ihrem jeweiligen Geschäftsmodell unterschiedlich, was zu unterschiedlichen Prämien führen kann. Die Autoversicherer dürfen Kriterien zur Berechnung der Prämien verwenden, wenn diese sich statistisch beweisen lassen. Sie müssen die Grundlagen ihrer Tarife auf Anfrage der Finanzmarktaufsicht Finma vorlegen", schreibt der Schweizerische Versicherungsverband auf Anfrage von Radio X. Die Statistiken, auf welchen die Prämien beruhen, sind also nicht öffentlich einsehbar. Das würde auch gegen einen wettbewerbsrechtlichen Grundsatz verstossen, so Eling. "Weil dann könnten die Versicherer gegenseitig sehen, wie sie die Preise bilden und das geht wettbewerbsrechtlich natürlich nicht."
Kosovarische Autobesitzer:Innen bezahlen am meisten
Laut einer aktuellen Analyse von comparis.ch vom März 2021 bezahlen Ausländer:Innen bis zu 61% höhere Versicherungsprämien wie schweizer Staatsangehörige. Die höchsten Prämien zahlen dabei Menschen mit kosovarischer Nationalität. Menschen mit schwedischer, österreichischer oder deutscher Staatsangehörigkeit bezahlen ungefähr gleich hohe Prämien wie Schweizer.
21.03.21 Autoversicherungsprämien
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