VenuX
Die Sendung
Im Sommer 2018 hat der RFV Basel eine Vorstudie veröffentlicht zum Frauenanteil in Basler Bands. Von 3'000 aktiven Mitgliedern waren damals gerade mal 10% weiblich. Diese Erhebung zeigt, dass der Handlungsbedarf riesig ist. Aber was sind konkrete Lösungsansätze? Einer davon ist sicher "Empowerment" junger Frauen*.
VEnuX ist eine Porträtserie von Frauen* aus dem Musikbereich:
Durch ihre Geschichten werden dem Publikum spannende Impressionen von Alltags- und Lebensrealitäten von Frauen* im Musikbusiness geboten. VEnuX blickt hinter die Kulissen der Schweizer Musikszene – aus Sicht von Frauen*. Im Zentrum steht dabei der Gedanke des Empowerments, der Sichtbarkeit und der Förderung von Frauen* im Musikbusiness.
VEnuX steht als Podcast zur Verfügung.
Die Sendung wird vom RFV Basel präsentiert und freundlich von Helvetiarockt unterstützt.
Weitere spannende Links:
Music Directory (Helvetiarockt/CH)
Female Bandworkshops (Helvetiarockt/CH)
Diversity Roadmap (Helvetiarockt und Petzi/CH)
Verein Les Belles de Nuits (ZH)
Und hier noch ein neues Powerprojekt aus Basel/Ramallah: Kallemi - das sind Jasmin Albash (RK) und Jennifer Perez (La Nefera) aus Basel und Maysa Daw und Rasha Nahas aus Palästina. Die vier haben sich im April 2018 kennengelernt. Die vier erfahrenenen Musikerinnen arbeiten seither zum ersten Mal in einer reinen Frauenformation. Jasmin Albash erzählt davon in der ersten Ausgabe von VenuX (am 22. Mai 2019).
Diese Fotos sind Symbolbilder für Frauen* in Basler Bands. Hinter der Kamera stand jeweils Radio X Fotograf Dominik Asche.
"Rock&Roll ist der Anti-Held" - The Jackets im Interview
Während ihres Konzertes in der Kaschemme liess uns das Trio kaum Zeit um durchzuatmen. Glücklicherweise konnten wir kurz vorher noch mit ihnen über die neue Platte reden, und darüber was es heisst, mit Fuzz und Lärm Geschichten zu erzählen. Freak out! von Mirco Kaempf
Konzerte spielen ist unsere politische Message. Freak Out! Wir tun es, um ausbrechen, frei zu sein, um uns auszudrücken.
Die Jackets sind eine der furiosesten Garage Bands der Schweiz. Ihr Sound siedelt sich in den primitiven Klangwelten zwischen 1966 und 1977 an, doch sind sie eine Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Im Zentrum des galanten Krachs steht eine unvergängliche Liebe zum Rock&Roll. Diesen lebt das Trio seit mehr als 10 Jahren vor allem live aus, auf den kleinen (bis mittelgrossen) Bühnen der Welt aus. Am Freitag erscheint ihr 4. Studioalbum, Queen of the Pill, produziert von keinem geringerem als King Khan und gemixt von der weissgestreiften Koryphäe Jim Diamond.
Im Zuge ihrer Platteneinweihungstour machten sie am Samstag Halt in der Kaschemme, und wir haben es uns natürlich nicht nehmen lassen, mit Jackie Brutsche aka Jack Torera, Samuel Schmidiger und Chris Rosales über die neue Scheibe zu quatschen. Das Gespräch fand im benachbarten Kellerstudio der Kaschemme statt und umfasste Philosophie-Exkurse darüber, was Rock&Roll eigentlich bedeutet, wie politisch es ist, Konzerte zu spielen und wie man richtig mit Lärm umgeht. - Und wer noch nicht genug hat, am Donnerstag spielen die Jackets ihre Plattentaufe in ihrer Heimatstadt Bern.
Wie wohl viele andere Garage-heads bin ich heute Morgen aufgewacht und habe gelesen, dass Roky Erikson, der Gitarrist und Sänger der legendären 13th Floor Elevators dahingeschieden ist. Was hat er euch bedeutet?
CR: Roky hat mich total überwältigt! Easter Everywhere war die erste Platte, die ich jemals gehört habe. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wie in einem Science-Fiction Film wo plötzlich die Zeit anhält und alles in sich zusammenfällt… Ich werde dieses Gefühl nie vergessen. Diese Rock&Roll Band trug ein Genie in sich und ist gleichzusetzen mit sowas wie einem Meisterwerk der Malerei.
JB: Ich liebte seine Stimme! Die Schreie und die Lyrics hatten etwas Berührendes, das tief geht.
Die Aufnahmen bleiben uns zum Glück erhalten! Und dort wird er immer der teenage-acid-Rebell bleiben. Euch gibt’s ja nun auch schon eine ganze Weile. Wie ist das für euch, die 10 Jahre jüngeren Jackets zu hören?
JB: Das habe ich lustigerweise erst kürzlich gemacht! [lacht] Natürlich würdest du am liebsten alles nochmals neu Aufnehmen… Aber so ist das halt… du wächst mit jeder Platte die du machst.
SS: Ich liebe diese erste Platte!
Chris, du meintest mal eure letzte Platte Shadows of Sound [Voodoo Rhythm Records, 2016] sei zu konstruiert gewesen. Hattet ihr für Queen of the Pill ein gegenläufiges Credo?
CR: Nun, wir machten sowas wie einen Testlauf vorher: Wir gingen im Sommer für eine Woche nach Berlin zu unserem guten Kumpel Arish Khan (King Khan & The Shrines). Wir schliefen auf seiner Couch, gingen Essen und Trinken und nahmen ein paar Songs auf. Nachdem auch Beat-Man vom Resultat begeistert war, gingen wir erneut nach Berlin für weitere Songs. Es hat einfach gut gepasst! Wir hatten vorher nie wirklich einen Produzenten, aber Arish Khan wusste, was er macht.
JB Die Chemie passte einfach super.
Wie fühlt es sich an, Jim Diamond [White Stripes] auf den Liner Notes zu haben?
CR: Jim Diamond! Ich liebe es einfach, Jim Diamond zu sagen. Jim Diamond! Es ist ein wohlklingender Name…
SS: Er hat uns schon ein paar Mal angefragt, aber es hat vorher einfach nicht gepasst
CR: Witzig ist, dass wir ihn nach all den Anfragen zufällig mal in einem Bus in Spanien angetroffen haben. Dort haben wir uns erst richtig kennengelernt. Und erst dann haben wir uns gefunden.
Und schliesslich hat er also den Mix für euer neues Album gemacht. Was kann er denn besser, als andere?
CR: Er hat den magic button!
SS: Ich habe den Eindruck, er platziert die Instrumente unglaublich bewusst. Er weiss, dass jedes Instrument einen eigenen Platz einnimmt. Wir arbeiteten eben auch mit Overdubs und die müssen richtig im sonoren Raum stehen. Und das kann er eben sehr gut, mit nur wenigen Klicks.
Reden wir doch über den explosiven fuzzy Sound… Teilweise erinnern die Songs an eine chaotische, freaky Holzwerkstatt. Was macht Lärm in euren Augen denn so wunderbar?
JB: Kontrolle…
CR: Macht…
JB: Energie…
CR: Es ist kraftvoll… Bewegt Menschen…
JB: Es muss aber auch richtig angewendet werden. Wenn Lärm immer nur Lärm ist dann wird dieser schwach. Aber wenn du das Fuzzpedal im richtigen Moment drückst, dann öffnet dies Sphären. Das meine ich mit «Kontrolle», du musst mit Lärm auch Geschichten erzählen können.
Geht es bei den Jackets um Ekstase?
CR: Ich glaube bei uns geht es vor allem um Direktheit. Man ist an unseren Konzerten immer hellwach und voll im Moment drin.
Eine Rock&Roll Show also, ein bisschen wie Zen?
JB: Genau!
Eine der auffälligsten Songs auf dem Album heisst Floating Alice. Dieser fällt ein bisschen aus dem Rahmen, weil er so anders ist. Beinahe The Jackets gone psychedelic…
JB: Ich hatte dieses Bild von einer Astronautin, die im Weltall schwebt. Sie schaut auf die Erde und singt ihrer Liebe zu, die dort ist. All derweil hinwegschwebend. Ich benannte sie dann einfach nach Alice Cooper. [lacht] Irgendwie ist ihm unsere Single zugeflogen und spielte sie in seiner Radio Show. Er fand unsere Band wohl irgendwie gut.
Experimentiert ihr denn im Bandraum auch mit psychedelischer Musik?
CR: Nein da schreien wir uns eigentlich nur gegenseitig an…
JB: Ja, das ist wohl Teil des kreativen Prozesses!
SS: Es kommt drauf an, was du unter psychedelischer Musik verstehst. Für uns kommt Psychedelik von einem sehr primitiven Gefühlszustand aus. So gesehen ist es auch nicht etwas, das du planen kannst, sondern es passiert einfach. Auf der Bühne, im Zusammenspiel mit Fuzz, Bass und Schlagzeug. Es hat für uns also nichts mit einer Melodie oder sowas zu tun à la 13th Floor Elevators. Für uns ist es eher eine physische Erfahrung, die in gewissen Momenten aufflackert.
In diesem primitiven Feld des Musizierens wo Songs oftmals auf nur 3 Akkorden aufgebaut sind, ist es da schwierig, neue Ideen zu entwickeln und neue Songs zu schreiben?
JB: Im Bandleben musst du den richtigen Moment erwischen, um neue Songs zu schreiben. Das schlimmste ist, wenn du ausgelaugt von irgendwelchen Touren nach Hause kommst, aber dann noch ein neues Album aufnehmen solltest. Und dann noch Songs schreiben musst…
CR: Bei "Shadows" war das so. Viele Songs sind einfach aus Jams entstanden und im Studio musste dann einfach noch ein Text her. Für die neue Scheibe hatte Jackie aber schon viele Songs und Demos parat. Diesmal gab es kein prominent vorangehendes Gejamme. Arish Khan hat teilweise noch punktuell mit den Arrangements geholfen.
War es denn eine entspannte Unternehmung, dieses Album zu machen?
JB: Naja, eigentlich nicht. Ein Album zu machen ist immer eine grosse Sache. Es ist der Motor einer Band! Das kann allerdings auch sehr stressend sein. Aber sobald es vorbei ist, vergisst du diesen Aspekt hinterher immer irgendwie. Und sagst dir dann: Oh yeah, lass uns ein Album machen!
CR: Es ist wie eine Ameise die zu einem fliegenden Octopus wird, der dein Gesicht fressen will… und dann wieder zur Ameise wird.
SS: Was wir uns wünschen würden ist, neue Songs zu schreiben, auf Tour zu gehen, und dann das Album aufzunehmen.
Im Song "Move On" singt ihr in herabwertender Manier, dass euer gegenüber in der Zeit hängen geblieben sei. Euch beschreibt man ja auch immer wieder als 60s Band, obwohl wir das Jahr 2019 haben. Trotzdem gibt es wohl Parallel in den Energien die da losgetreten werden. Was macht denn eurer Meinung nach "Rock&Roll Musik" aus?
CR: Na, wenn es einen Beat hat und man dazu tanzen kann! Rock&Roll ist ja eigentlich ziemlich rudimentär. Es ist Musik, gemacht für die Kids. Das heisst aber nicht, dass man ein Kind sein muss. Man muss einfach jung im Herzen sein. Es ist das Gegenteil von Prätentiös. Es verleitet dich eine Zigarette zu rauchen oder eine Flasche zu zerschlagen.
JB: Rock&Roll muss authentisch und direkt sein. Wenn du selber immer ehrlich und du selber bist, dann kannst du auch die gleichen Instrumente wie in den 50ern oder 60ern spielen, du machst dann trotzdem etwas total Eigenes, mit deiner Geschichte, und deiner Persönlichkeit. Das fasziniert mich, die grundlegenden Elemente sind immer diesselben, aber jede Band klingt anders.
SS: Mittlerweile ist Rock&Roll auch etwas, das über mehrere Generationen hinweg geteilt werden kann. Auch fürs Konzert heute Abend werden 2-3 Generationen zusammenkommen. Rock&Roll hat keine Zielgruppe und ist keine Modeerscheinung, sondern ist für viele zum Teil ihres Lebens geworden. Und es kommen immer neue, junge Menschen hinzu.
Ist Rock&Roll denn nun ein Lifestyle oder eine Philosophie?
CR: Es ist natürlich beides und noch viel mehr. Es ist eine Kunstform, es ist eine Mode, es ist ein Geruch… und ich glaube er wird für immer bestehen. Es wird immer wieder Kids geben, die sowas hören wollen. Es berührt etwas, das in allen von uns steckt, es hält den Teenager in uns am Leben.
Kultiviert den Teenager!
JB: Es ist aber auch der Underground... Rock&Roll hat so etwas wie eine Community – eine Anhängerschaft verteilt und vernetzt auf der ganzen Welt. Es ist fast so etwas wie eine Familie. Du triffst an Konzerten Menschen die du nicht kennst, aber du hast eine fantastische Zeit, weil euch die Liebe zu dieser Musik verbindet. Es ist mehr als Musik…
Nehmen wir an, dass alle Kunst auch politisch ist. Würdet ihr sagen, dass eure Rock&Roll Musik auch eine politische Message inne hat?
JB: Zieht euch die Hosen aus!
CR: Ja genau! Nein wir sind nicht eine sehr politische Band…
JB: Doch, natürlich sind wir das!
CR: Wirklich? Wieso denn?
Man könnte ja behaupten, dass jede Aktion die man unternimmt, auch eine winzige politische Konsequenz nach sich zieht?
SS: Nunja, man könnte das so sehen: Wir gleisen ein Konzert auf und spielen eine Show. Alle die an unser Konzert kommen werden an diesem Abend davor bewahrt, alleine rumzusitzen und Netflix zu schauen. Somit bleiben diese ein Stückweit vor weiteren Einwirkungen des kapitalistischen Lebensstils bewahrt. So gesehen ja, wir sind politisch. Aber wir haben keine politische Agenda und sind sicherlich keine Moralisten.
CR: Ich denke, dass sich Rock&Roll traditionell gegen all diese Werweisungen stellt. Rock&Roll ist aufmüpfig und schert sich nicht um solches Zeug. Es geht vor allem eine Anti-Haltung. Anti-Politik. Anti-politische-Korrektheit. Rock&Roll ist der Anti-Held.
JB: Rock&Roll ist aber auch eine Lösung. Es steht all jenen offen, die gefangen sind im System. Wir als Band versuchen in erster Linie diese Kultur aufrechtzuerhalten. Für viele Clubs wird es immer schwieriger, überhaupt solche Konzerte zu organisieren, mag das an sich beschwerenden Nachbarn liegen oder sonstwas. Konzerte spielen ist unsere politische Message. Freak Out! Wir tun es, um ausbrechen, frei zu sein, um uns auszudrücken.
SS: Wir machen lokale Musik. Auch wenn wir touren, treffen wir auf lokale Szenen, wo ganz viele Menschen zusammenarbeiten. Sei es Veranstalter, Promoter, Radios, DJs, Fanzines... Das sind oftmals Menschen mit 2.Jobs oder solche, die all das ehrenamtlich machen. Das kreiert eine Szene und das ist etwas wunderbares. Das hat natürlich auch politische Konsequenzen.
Queen of the Pill: Was ist die grösste Droge von allen? Bitte sag Rock&Roll…
JB: Rock&Roll!
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