Übersinnliche Phänomene – Wenn Wahrnehmungen unerklärlich bleiben
Wissenschaft, Esoterik oder Glaube? Was, wenn etwas passiert, das wir uns nicht erklären können und das uns paranormal erscheint? Gemeinsam mit Fachleuten aus Psychologie und Parapsychologie sprechen wir darüber, wie solche Erfahrungen erforscht, erklärt, oder manchmal eben nicht erklärt, werden können. von Noemie Keller
25.11.06 11h und 25.11.07 00h Übersinnliche Phänomene
Wissenschaft, Esoterik oder Glauben? Was, wenn etwas passiert, was wir uns nicht erklären können und uns paranormal erscheint? Gemeinsam mit Fachleuten aus Psychologie und Parapsychologie sprechen wir darüber, wie solche Erfahrungen erforscht, erklärt, oder manchmal eben nicht erklärt, werden können.
Das Licht flackert. Ein Schatten huscht über die Wand. Das Herz rast. Für einen Moment sind wir sicher: Da war etwas. Vielleicht nur der Wind oder doch mehr?
Viele Menschen kennen Situationen, die sich nicht sofort erklären lassen: seltsame Geräusche, Gegenstände, die sich wie von selbst bewegen, das Gefühl, nicht allein im Raum zu sein. Zwischen rationaler Erklärung und dem Gedanken an etwas Übernatürliches liegt oft nur ein Wimpernschlag. Doch was steckt wirklich hinter solchen Erfahrungen? Sind es Geister? Oder unser Gehirn?
Zwischen Wissenschaft, Psychologie, Esoterik und Glaube stellt sich die Frage: Warum glauben Menschen an Paranormales? Und was passiert, wenn der Spuk im eigenen Zuhause beginnt?
Warum wir Unerklärliches übersinnlich deuten
Prof. Dr. Christine Mohr, Psychologin und Professorin für kognitive Psychologie an der Universität Lausanne, befasst sich seit Jahren mit den kognitiven, neuropsychologischen und psychopharmakologischen Merkmalen des paranormalen Glaubens. Zum Beispiel sind Menschen, die an Übernatürliches glauben, oft besonders offen für neue Erfahrungen, gleichzeitig aber auch etwas ängstlicher als andere.
„Leute, die an Paranormales glauben, sind neugieriger auf Erlebnisse und eher bereit, etwas auszuprobieren oder für möglich zu halten. Gleichzeitig sind sie oft etwas ängstlicher“, erklärt Mohr.
Ein weiterer Faktor für den paranormalen Glauben ist die Art, wie wir Zusammenhänge herstellen. Wenn wir zwei Ereignisse kurz nacheinander erleben, neigen wir dazu, sie miteinander zu verknüpfen, auch wenn sie objektiv nichts miteinander zu tun haben.
Ein Beispiel:
Jemand drückt den Lichtschalter, und im selben Moment fällt ein Bilderrahmen von der Wand. Zufall? Für manche ja, für andere ein eindeutiges Zeichen.
„Menschen mit hohem Glauben an Paranormales sehen fast immer einen Zusammenhang. Für sie gibt es weniger Zufall, alles hat Bedeutung“, so Mohr.
Dieses Denken hängt mit einem psychologischen Mechanismus zusammen. Unser Gehirn hasst Unsicherheit. Deshalb baut es Geschichten, die Erfahrungen einordnen und Sinn erzeugen, selbst wenn dieser Sinn konstruiert ist. So können kausale Zusammenhänge hergestellt werden, die möglicherweise nicht existieren oder Fakten so interpretiert werden, dass sie in die Geschichte hineinpassen. Diese Tendenz nennt man narrativen Bias. Besonders bei Erlebnissen, die Angst oder Verunsicherung auslösen, sucht der Mensch fast zwanghaft nach einer Erklärung.
Paranormale Deutungen können deshalb ein psychologisches Beruhigungssystem sein: Sie schaffen Ordnung, wo Chaos herrscht.
Wenn der Spuk Angst macht – und wem man sich anvertrauen kann
Was aber, wenn das Unerklärliche nicht beruhigt, sondern Angst auslöst? Wenn das eigene Zuhause plötzlich zum beunruhigenden Ort wird? Für solche Fälle gibt es in Freiburg (D) eine Anlaufstelle, die Parapsychologische Beratungsstelle, seit rund 35 Jahren geleitet vom Physiker und Psychologen Dr. Dr. Walter von Lucadou. Dort können sich Menschen melden, die seltsame, unerklärliche oder „spukhafte“ Erfahrungen gemacht haben.
„Viele Betroffene sagen zuerst: Ich bin nicht verrückt, ich habe keine Drogen genommen, aber ich habe das erlebt. Und wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, würde ich es auch nicht glauben,“ berichtet von Lucadou.
Sein Grundprinzip: erst einmal zuhören, ohne zu bewerten. Denn viele Menschen, die solche Erfahrungen machen, trauen sich kaum, darüber zu reden, aus Angst, nicht ernst genommen oder als psychisch krank abgestempelt zu werden.
Typische Erzählungen handeln zum Beispiel von Wahrträumen, Nahtoderfahrungen oder eben Spuk: Von Geräuschen, die niemand verursachen kann, über Gegenstände, die sich bewegen, bis zu Erscheinungen von Gestalten, die nicht real sein dürften.
Doch von Lucadou verfolgt keinen esoterischen Ansatz, sondern einen wissenschaftlichen. Seine Erklärung für viele dieser Phänomene lautet: Embodiment-Störung.
Wenn der Spuk von innen kommt
Menschen sind auf viele Arten in ihre Umgebung eingebettet (embodied). Nicht nur das Bewusstsein im Körper, sondern in einem ganzen Geflecht von Umgebungen: Kleidung, Wohnung, Stadt, Gesellschaft. Diese Embodiment-Sphären beeinflussen uns und wir beeinflussen sie. Normalerweise geschieht das bewusst und kausal: Ist uns kalt, drehen wir die Heizung auf.
«…Zu diesen vielfältigen komplexen Interaktionen die kausaler Natur sind, kommt nun etwas dazu, was relativ neu ist in der Psychologie, das nennen wir Verschränkungszusammenhänge. Die kennt man aus der Physik, aber die treten eben auch in makroskopischen Systemen vor.»
Denn laut von Lucadou gibt es Fälle, in denen innere Konflikte nicht im Körper, sondern in der Umgebung ausbrechen, in Form von Spukphänomenen. Er vergleicht diese Prozesse mit einem „psychosomatischen Schutzmechanismus“: Statt, dass psychische Belastung zu Krankheit führt, verlagert sich das Problem nach aussen.
„Der Spuk ist eine Schutzfunktion des Bewusstseins. Er bewahrt manche Menschen davor, körperlich krank zu werden. Aber man sollte ihn nicht ignorieren, sonst wird aus dem Spuk später tatsächlich eine Erkrankung,“ so von Lucadou.
Typisch sei dabei, dass die Phänomene symbolisch mit dem Problem verbunden sind. Die Aufgabe der Betroffenen sei es daher, nicht nach Geistern zu suchen, sondern nach Bedeutungen.
Ein Fall aus seiner Beratung:
Eine Frau erlebte plötzliche Bewegungen von Gegenständen, umfallende Regale, Bilder, die von der Wand fielen. Am Muttertag fühlte sie plötzlich Tritte, als sie im Bett lag. Erst nachdem sie auf sein Anraten alles aufgeschrieben hatte und Muster suchte, entdeckte sie den Zusammenhang: All diese Ereignisse bezogen sich auf ihre Mutter. Sie ruf dann bei ihrer Mutter an und merkte dadurch, dass es der Mutter schlecht ging und fing an sich um sie zu kümmern.
„Deutlicher konnte die Botschaft kaum sein“, sagt von Lucadou. „Kümmere dich um deine Mutter.“
Doch bei welchen Menschen kann es spuken?
Nicht jeder Mensch reagiert auf Probleme mit spukartigen Erscheinungen. Entscheidend sei die Fähigkeit zur Dissoziation: Also dazu, innere Zustände mental abzuspalten. Bei den meisten Menschen tritt das in Form von Tagträumen auf oder beim Lesen. Es gibt Personen bei denen das stärker ausgeprägt ist und die eine sehr lebhafte Vorstellungskraft haben und andere, die eher eine geringere Dissoziationsfähigkeit haben. Eine dissoziative Störung wiederum entsteht meist durch traumatische Erlebnisse, dann wird es zur Überlebensstrategie.
Menschen mit hoher Dissoziationsfähigkeit, so von Lucadou, haben eine grössere Wahrscheinlichkeit, solche Phänomene zu erleben, nicht weil sie „überempfindlich“ sind, sondern weil ihr Bewusstsein anders mit inneren Konflikten umgeht.
Warum der Glaube an das Unerklärliche hilft – und manchmal schadet
Ob Kristalle, Rituale, Räuchern, Beten oder Horoskope: Wer an Übernatürliches glaubt, schafft sich nicht nur eine Erklärung, sondern auch ein Werkzeug zur Kontrolle. Angst wird reduzierbar, das Chaos wird fassbar.
Darum steigt in Krisenzeiten, bei Krieg, Naturkatastrophen, Trennung, Tod – häufig auch der Glaube an das Paranormale, die Spiritualität und Religion insgesamt.
Doch es gibt zwei Seiten:
- Der Glaube kann beruhigen, Halt geben, Orientierung schaffen.
- Er kann aber auch Angst verstärken, wenn das Unerklärliche zur Bedrohung wird.
Fazit: Das Unheimliche ist oft ein Spiegel unserer Psyche
Ob Spuk, Zeichen oder Zufall, die Grenzen zwischen Realität und subjektiver Bedeutung sind oft fliessend. Das Ungeklärte fasziniert uns nicht nur, es zeigt auch, wie stark unser menschliches Bedürfnis nach Sinn und Ordnung ist.
Vielleicht liegt das Geheimnis nicht in Geistern ausserhalb, sondern in Bewegungen innerhalb unserer Psyche.
Die US-Dichterin Emily Dickinson schrieb bereits im 19. Jahrhundert:
„One need not be a chamber to be haunted.“
Man muss keinen Spukort betreten, der eigentliche Spuk kann in uns selbst liegen.
Und vielleicht, wenn das Licht das nächste Mal flackert und ein Schatten über die Wand gleitet, schauen wir anders hin:
mit mehr Neugier, weniger Furcht und vielleicht doch einem Rest Faszination.