Goodbye Pitchfork oder: Who gives a S&*t about Music Journalism?
"The most trusted voice in music", das Onlinemagazin Pitchfork, wird im Männermagazin GQ unterzogen und die Hälfte der Redaktion wurde entlassen. Ein Phänomen, welches sich einreiht in einen Trend, welcher Musik- und Kulturjournalismus als nicht profitabel einstuft. Wir fragen uns, warum eigentlich? von Danielle Bürgin
24.02.15 24.02.16 Musikjournalismus in der Krise
Grosse Verlage übernehmen kleine Redaktionen, Kulturteile werden weggespart und die Auseinandersetzung mit Musik gilt als Luxusprodukt. Was ist der heutige Wert von Musikjournalismus?
Playlist (excerpts): Japanese Breakfast - Planetary Ambiance / Radiohead - Everything in it's Right Place / Jet - Come On Come On / Arcade Fire - Neighborhood #1 / Purity Ring at Pitchfork Music Festival 2012 / Klaus Johann Grobe - Aufstand / Fräulein Luise - Heiweh / Malummí - The Universe Is Black / Odd Beholder - Dirty Secrets / Kombé - Future Entropy Quest / Aisha Devi - Azoth Eyes / Thabang Tabane - Nyanda Yeni / Spaza - Five Rand Airtime nama eveready: 4000 degrees / dumama + kechou - for madala / Crème Solaire - Flum-Biöt
Radio X würde anders klingen, wenn es Pitchfork nicht gegeben hätte: Seit seiner Gründung im Jahre 1996 durch Ryan Schreiber hat es sich nach und nach zu einem der einflussreichsten Online-Musikmagazine entwicklet und wurde aber nun Mitte Januar umstrukturiert, und soll nun in das Männermagazin GQ integriert werden. Eine Website, die sich um Luxusuhren, Brad Pitt und sonstige männerorientierte Gala-Themen dreht. Dies war die Entscheidung von Condé Nast, einem weltweiten Medienkonglomerat, zu dem unter anderem auch Glamour, Vogue, Wired, Vanity Fair und der New Yorker gehören. Seit 2015 gehört Pitchfork zu Condé Nast.
Pitchfork zeichnete sich durch prosaische Reviews und ein penibles Dezimalsystem von 0.0 bis 10.0. aus. Medienhistorisch sind Reviews zum Radiohead-Album "Kid A", die mit "I had never seen a shooting star before" begannen und sich lasen wie ein laber-literarischer Fiebertraum. Ein anderer Review, der Aufsehen erregte, war für das zweite JET-Album, bei dem das GIF eines Affen verwendet wurde, der in seinen eigenen Mund urinierte. Der Erfolg der damals unbekannten Band Arcade Fire wurde in einem Pitchfork-Review mit 9.7 bewertet. Der Online-Blog wuchs, und so auch das Renomée, mit einer Kritik das make-or-break eines Acts auszumachen.
Der Diskurs drehte sich dabei aber viele Jahre lang hauptsächlich um männliche Gitarrenbands. Das hat sich in den letzten zehn Jahren langsam geändert. Zwar nicht zum Vergnügen aller langjährigen Leser:innen, aber es führte zu Artikeln, in denen sie gegen den Arcade Fire-Frontsänger Win Butler klagten, zu sexualisierten Gewaltübungen oder Leitartikeln darüber, warum die Musikindustrie ein Problem mit #MeToo hat.
I've referred to my job at pitchfork as being on a ferris wheel at closing time, just waiting for them to yank me down. after nearly 8 yrs, mass layoffs got me. glad we could spend that time trying to make it a less dude-ish place just for GQ to end up at the helm
— Jill Mapes (@jillian_mapes) January 17, 2024
"Auf Sales oder Streams haben einzelne Reviews kaum mehr einen Einfluss"
Fabienne Schmuki, Irascible Music.
Es gibt heute so viele Möglichkeiten, Musik zu hören und zu entdecken wie noch nie, doch fehle es an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Quellenmaterial. Als Fabienne Schmuki 2009 (mittlerweile Co CEO) beim Indie Label Irascible eingestiegen ist, um für Artists Promo zu machen, war die Welt noch eine etwas andere. Wo einzelne Plattenkritiken noch dazu führten, dass hunderte von CDs verschickt werden konnten, ist heute vieles offener, und flüchtiger. Obwohl musikalisch viel interessantes passiert und einzelne Genres immer unwichtiger werden, ist die Flut enorm. Und wenn es mal zu Reviews oder Features kommen sollte, beschränken sich diese meistens auf regional relevante Acts und/oder bleiben an der Oberfläche. Dennoch merke sie auch, dass das Interesse an neuen Releases nicht abebbt. Noch immer kann es zu grösseren, internationalen Resonanzen kommen, wie zB bei Irascible Band Malummí, welche für ihr neustes Album sogar Kritiken von KEXP abholen durften. Das Resultat von guter, Hand-kuratierter Labelarbeit?
"Ein Musikjournalistischer Diskurs findet in der Schweiz aktuell nicht statt"
Janosch Tröhler, Negative White
Man könne eine Plattenreview mega langweilig oder hochspannend gestalten. Dies setze aber eine Herangehensweise voraus, welche über die müden Formeln hinausgeht. Denn: Musik ist Teil des kulturellen Schaffens einer Gesellschaft und hat so auch einen Anspruch, dass entsprechend darüber reflektiert wird. Das ist die Meinung von Janosch Tröhler, welcher 2010 den Online Musikblog Negative White mitbegründet hat und seit einer pandemiebedingten Pause nun im kleinen Team, auf Englisch, weiterführt. Als ehemaliger Vorstand des Zürcher Pressevereins und Product Owner bei Ringier sieht er den Grund des fehlenden Musik-Diskurses in den Medienstrukturen. Grössere Verlage sparen Redaktionen zusammen, erhöhen die Mehrbelastung der Journalist:innen und wählen Themen mit breiterer "Relevanz", so liegen Konzertbesprechungen von grösseren Acts vielleicht drin, währenddessen andere Themen weggestrichen werden. Dies liege an Klicks, Sales und einer profitablen Notwendigkeit dieser Geschäftsmodelle. Musikjournalismus ist so zu einem Luxusprodukt geworden, einer Nische, welche ein ebensolches (zahlendes) Publikum benötigt, um zu überleben. Man müsse die klassischen Formate wie Plattenreviews, Konzertbesprechungen neu denken lernen. Wo die Schweizer Musikszene so gut aufbereitet sei wie noch nie, findet seit Jahren eine musikjournalistische Deprofessionalisierung statt.
"Pop hätte sich ohne Musikjournalismus ganz anders entwickelt"
Sevi Landolt, Klaus Johann Grobe, Plattfon
So wie die Strukturen im Moment sind, hätten Reviews auf grösseren Plattformen zwar noch immer einen hohen Stellenwert - so fliessen sie möglicherweise auf Bookingentscheide ein, dienen als Promo, finden Eingang in Musikgeschäften und erreichen auch angehende Hörer:innen. Allerdings: Je mehr Outlets wegfallen (Musikexpress gibt es noch, Spex gibt es nicht mehr) desto weniger Raum bleibt übrig für Kritiken. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die meisten Menschen über Streamingdienste ihre neue Lieblingsmusik entdecken. Durch diese Entwicklungen hat der Musikjournalismus (in seiner jetzigen Form) viel von der vormaligen Wichtigkeit verloren. Man müsse für dieses (tolle) Handwerk neue Formen kreieren.
"To have an audience that engages (with the writing about) music is vital for the industry"
Andrew Curnow, Mushroom Hour Half Hour
Sollten Labels in PR Arbeit investieren, um Aufmerksamkeit zu erlangen? Wenn es zu neuen Releases kommt, dann nützen Bandcamp Daily Pieces erheblich mehr als Pitchfork/Downbeat/etc Kritiken, unter anderem auch weil sie direkt zum Labelshop führen, sagt Andrew Curnow, Co-Gründer des südafrikanischen Labels Mushroom Hour Half Hour. Heuzutage seien viele Artikel nicht besonders gut geschrieben, es kommt oft vor, dass Pressetexte copy-pasted werden. Doch umso bemerkenstwerter stechen die guten Texte heraus. Besonders im Indie/Leftfield wolle er diese Auseinandersetzungen nicht missen. Denn sie seien wichtig um Perspektiven zu schaffen, Alben kennenzulernen oder sowieso, Neues zu hören was man ansonsten vielleicht nie gehört hätte. Das sei überlebenswichtig für die Kultur des Musikhörens.
"Das ist Recherchearbeit. Ich muss Dinge ernst nehmen können. Und darum braucht es Kulturjournalismus"
Fabian Moesch, Booker One Of A Million Festival (09. bis 17.02.24) / Musiker
Im Gespräch mit Fabian Moesch, der Bands für das Entdecker:innen Festival One Of A Million Festival in Baden bucht und bei der Agentur Glad We Met für Management und Promotion von Musiker:innen zuständig ist, erfahren wir warum Radios wie Radio X für seinen Job wichtig sind. Kommerzielle Radios aber auch grosse Tageszeitungen würden wenig bis gar nicht über Bands berichten, die abseits des Mainstreams sind. Für ein Entdecker:innen Festival seien die Spotify-Plays alleine vernachlässigbar - da seien persönliche Empfehlungen wertvoller.
"Ich glaube an dezentralisierte, lokale Initiativen".
Raphael Rodriguez, A&R (Monkeytown Records, Berlin) und Mitbegründer von Danse Noire (Genf)
Raphael Rodriguez ist Kenner der elektronischen Musikszene. Er hat zusammen mit Aïsha Devi das Label Danse Noire gegründet, Heimat für experimentelle elektronische Musik. Rodriguez betreut auch Artists beim Berliner Label Monkeytown Records (durch Modeselektor ins Leben gerufen). "Dass immer weniger ausführliche Berichte zu neuen Alben exisitieren, ist nicht neu. Aber die Entwicklung in den letzten Monaten ist erschreckend", sagt Rodriguez. Problematisch sei, dass Plattformen, die ursprünglich mit guter Intention von Kulturschaffenden gegründet wurden, immer öfter von grossen Konzernen aufgekauft werden. Dies führt dazu, dass gerade Indie-Künstler:innen und -Labels den Anschluss verlieren. Es gäbe zwar immer mehr neue Initiativen - auch neue Radios gehören dazu. Doch würden die meist von Freiwilligen betrieben, was zu einer Deprofessionalisierung des Musikjournalismus führe. Auch das Präkariat bei Musiker:innen und Journalist:innen sei ein Thema.
Fazit aus unseren Gesprächen mit Expert:innen des Schweizer Indie-Musikbusiness:
Die Übernahme von innovativen Plattformen durch grosse Firmen (Bsp. Pitchfork, Bandcamp, NTS Radio) sehen viele als Problem. Doch bestehe Hoffnung auf neue, lokale Initiativen. Wir von der Radio X Musikredaktion sind uns bewusst, dass tiefgründige Recherchen und ausführliche Albumreviews ein Luxus für viele Redaktionen sind. Und dass es ein interessiertes Publikum braucht, welches diese Arbeit mitträgt.
Für Radio X: Mirco Kaempf, Danielle Bürgin und Dion Monti.