
Clair Obscure: Wie ein Indie-Spiel die AAA-Konkurrenz überstrahlt
Einer der überraschendsten Videospiel-Releases dieses Jahres kam von einem kleinen französischen Studio welche mit seinem Debüttitel Clair Obscure: Expedition 33 einen unerwarteten Hit landeten, der nicht nur durch seine Erzählung brilliert, sondern auch durch die Art seiner Entstehung neue Diskurse in der Gaming-Branche angestossen hat. von Mirco Kaempf
25.07.25 Clair Obscur Expedition 33
Das AA-Game Clair Obscure: Expedition 33 war dieses Jahr ein Überraschungshit. Ein paar Aspekte die herausstechen, werden in diesem Beitrag beschrieben.
Dass Videospiele eine Form von Kunst sind, darin sind sich viele einig. Doch sie sind ebenso Produkte einer milliardenschweren Unterhaltungsindustrie, in der Entwickler:innen regelmässig – selbst bei grossen Studios – ihren Arbeitsplatz verlieren. Allein in den letzten drei Jahren wurden Tausende Stellen bei Schwergewichten wie Microsoft, Ubisoft oder Electronic Arts gestrichen. Grosse Spieleproduktionen werden immer teurer. Wenn ein Titel floppt, dann schwerwiegend – was dazu führt, dass sich viele Games zunehmend an generischen Mustern orientieren.
Einer dieser Entwickler ist Guillaume Broche, früher bei Ubisoft angestellt. Irgendwann hatte er genug vom System, kündigte und entschied sich, seine eigene Vision umzusetzen. Über Plattformen wie Reddit rekrutierte er ein kleines Team – darunter auch Menschen, die zuvor noch nie in der Gaming-Industrie gearbeitet hatten. So etwa Jennifer Svedberg-Yen, die sich ursprünglich als Voice Actress bewarb und später kurzerhand die Rolle des Narrative Leads übernahm. Oder Lorien Testard, Komponist des Soundtracks, der vor diesem Projekt nie für ein Videospiel komponiert hatte.
Diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass kreative Freiheit oft mehr zählt als Branchenerfahrung. Und dass Menschen, wenn man ihnen Vertrauen und Verantwortung gibt, gemeinsam Grosses erschaffen können. Innerhalb von sechs Jahren brachte das Team ihr Spiel zur Veröffentlichung.
Wer Clair Obscure: Expedition 33 spielt, merkt schnell, wie einzigartig es ist. Besonders auf erzählerischer Ebene erinnert es fast an ein Stück Literatur. Die Spieler:innen betreten eine hochstilisierte Welt, die von einem seltsamen Fluch heimgesucht wird: Jedes Jahr erscheint am Horizont eine geheimnisvolle Gestalt – The Paintress – und schreibt eine Zahl in den Himmel. Jeder Mensch, der diesem Alter entspricht, verschwindet spurlos. Die Zahl sinkt mit jedem Jahr, und so formieren sich Jahr für Jahr neue Expeditionen mit dem Ziel, The Paintress aufzuhalten. Ihr Mantra: „For those who come after.“
Die verfluchte Welt ist dabei von unglaublicher Schönheit. Inspiriert von der französischen Belle Époque, durchzieht eine tiefgründige Melancholie jede Zeile Code dieses Spiels. Themen wie Tod, Vergänglichkeit und Sinnsuche werden nicht plump erklärt, sondern feinfühlig verhandelt – stets getreu der goldenen Regel des Geschichtenerzählens: Show, don’t tell.
Im April dieses Jahres erschien Clair Obscure: Expedition 33 als sogenannter „AA“-Titel – also als Indiegame mit professioneller Produktion – und stellte so manche AAA-Titel grosser Studios in den Schatten. Nicht nur durch seine Geschichte, sondern auch durch den innovativen Einsatz vorhandener Game-Engine-Assets. Es zeigt, worauf sich ein Fokus wirklich lohnt.
Guillaume Broche sagte in einem Interview sinngemäss, dass eine solche Idee in einem grossen Studio 25 Jahre gebraucht hätte, um durchgewunken zu werden. Das Spiel macht deutlich: Wenn wir Videospiele wirklich als Kunstform begreifen wollen, dann müssen wir sie auch intern so behandeln – nicht nur als Produkt zur Kapitalvermehrung.
Clair Obscure: Expedition 33 ist spielbar auf PC, Xbox Series X|S und PlayStation 5. Es ist ein aussergewöhnliches Spiel, das zeigt, was entsteht, wenn Leidenschaft, Mut und kreative Freiheit aufeinandertreffen.