Woche gegen Rassismus 2019

Thomas Steffen: "Jetzt mache ich dazwischen auch mal eine Schachpartie."

19 Dienstjahre im Gesundheitsdepartement, zehn davon als Kantonsarzt, zwei während einer Pandemie: Letzte Woche verliess der Basler Kantonsarzt zum letzten Mal sein Büro an der Malzgasse. Wer aber glaubt, der Mediziner habe an seinem ersten Wochenende nach diesem 24/7 Job die Füsse hochgelegt und sich dem süssen Nichtstun gewidmet, irrt. Im Interview erzählt Thomas Steffen, warum er nicht von 100 auf null gehen will und was ihm in fordernden Zeiten einen Ausgleich zur Arbeit gegeben hat.  von Claire Micallef

22.01.12 Interview mit Thomas Steffen

Letzte Woche hatte Thomas Steffen seinen letzten Arbeitstag als Basler Kantonsarzt. Wir schauen mit ihm zurück auf eine intensive Zeit und auf sein erstes Wochenende nach diesem 24/7 Job.

Letzte Woche hatten Sie Ihren letzten Arbeitstag als Basler Kantonsarzt. Mit welchem Gefühl haben Sie zum letzten Mal Ihr Büro verlassen?

Das klingt jetzt komisch, aber ich hatte eigentlich das Gefühl, ich hätte dies schon ein paar Mal gemacht. Ich musste für Kamerateams immer wieder den «ich-gehe-jetzt-aus-der-Tür-raus» filmen. Und als ich dann wirklich ging – das war am Abend, das Haus war leer – da war diese Türe gar nicht mehr so seltsam.

 

Also wie ein Training, das Sie bereits darauf vorbereitet hat?

Ja genau, ich habe es ein paar Mal geübt. 

 

Sie waren gut zehn Jahre lang Kantonsarzt, zwei Jahre davon während einer Pandemie. Bestimmt nicht das, was Sie sich vorgestellt haben, als Sie die Stelle angetreten sind. Wenn Sie auf diese zehn Jahre zurückschauen, welche Erinnerung kommt Ihnen spontan als Highlight in den Sinn?

Im Leben ist es glaube ich oft so, dass es eher die kleineren Geschichten sind. Dass wir mit dem Café Bâlance in jedem Quartier ein Angebot für Senioren machen konnten oder, ganz berührend, «Purzelbaum», als wir vor 15 Jahren mehr Bewegung in Kindergärten gebracht haben und zum Teil einfach diese Kindergärten geräumt haben, damit mehr Platz da ist. Wenn man dann diese glücklichen Menschen vor Ort hat, das gehört wirklich zu den ganz grossen Highlights.

 

Die letzten beiden Jahre waren Sie während einer Pandemie Kantonsarzt. Eine Herausforderung, die auch mediale Aufmerksamkeit mit sich gebracht hat. Sie standen oft vor der Kamera, vor dem Mikrofon. Mussten Sie sich fest daran gewöhnen?

Ich habe mit Präventionsthemen bereits verschiedenste Erfahrungen gemacht, aber diese sind im Allgemeinen weniger heikel. Ja, man muss sich vor allem an die Mengen gewöhnen. Medienarbeit habe ich schon immer gerne gemacht, dies ist mir bestimmt zugutegekommen. Man muss darauf achten, den eigenen Narzissmus im Griff zu haben und sich nicht auf einmal zu gross zu sehen, nur weil man in der Tagesschau oder im 10 vor 10 oder was weiss ich ist. Meiner Meinung nach wichtig ist, dass man im Ganzen irgendwo die Erdung behaltet.

 

Ich nehme an, Ihre Arbeit hat sich nicht nur in Bezug auf die Medien während der Pandemie verändert. Was waren für Sie die grossen Veränderungen?

Wir hatten einen Betrieb von etwa 100 Leuten, der relativ familiär aufgestellt war. Jeder und jede kannte sich. Als ich ging, waren wir über 200. Zuvor waren wir auch weitgehend an einem Standort.  Als ich ging hatten wir drei Standorte. Der Betrieb war weniger gut spürbar, es wurde abstrakter. Wir waren zum Teil im Home Office, die Leitung ging viel mehr über Mails, Videokonferenzen und Ähnlichem. Das hat sich für mich fast am stärksten verändert.

 

Also die Art und Weise des Arbeitens.

Ich habe gerne eine offene Türe, durch die die Leute jederzeit hereinkommen können. Das wurde viel abstrakter. Es gab Tage, an denen ich das Gefühl hatte, ich würde vor allem Mails mit neuen Aufträgen herumschieben, Sachen gegenlesen, wieder ordnen, auftauchende Probleme lösen. Es ist eindeutig abstrakter geworden.

 

Ein 24/7 Job also, der wahrscheinlich auch Druck auf Sie ausgeübt hat. Wie sind Sie mit diesem Druck umgegangen?

Wir haben in den letzten Jahren viel zum Thema psychische Gesundheit gemacht. Themen, die aktuell auch sehr trendig sind wie Achtsamkeit, kann ich allen empfehlen. Es hilft tatsächlich. Ein Grundsatz, den ich hatte: «Konzentriere dich, wenn es sehr stressig wird, einfach auf den Moment.» Du hast dann diese Person vor dir und dieses Problem zu lösen. Und blende einfach aus, dass es noch hunderttausend andere Probleme gibt, die auf dich einfluten, und komme so zu der inneren Ruhe, die du brauchst.

 

Was hat Ihnen geholfen, einen Ausgleich zu finden zu diesem Job?

Eine Erfahrung, die ich etwa nach drei Wochen gemacht habe. Ich merkte, irgendwie kann ich nicht mehr. Da habe ich mir die Regel gegeben: eine Stunde pro Tag für mich. Das habe ich durchgezogen. Gewöhnlich waren das bei mir Hörbücher – in den ersten Monaten habe ich Leonard Cohen rauf und runter gehört. Er ist jetzt wieder in den Hintergrund gefallen, das ist vielleicht ein gutes Zeichen. Das und die Badewanne. Diese Kombination, die entspannt enorm. Man ist seine Zeit weg und dann eigentlich ein wenig neu auf der Welt.

 

Stichwort Hörbücher, haben Sie unseren Hörer:innen den Hörbuchtipp für jetzt, da wir wieder mehr zu Hause sind?

Es gibt zwei Hörbücher, die ich parallel höre. Einer ist «Welpenerziehung» von Elisa Kuhn, weil ich vorhabe, mir einen Welpen zuzutun. Er ist am 17. Dezember auf die Welt gekommen und kommt irgendwann Ende Februar zu uns in die Familie. Und das andere «Im Grund gut – Eine neue Geschichte der Menschheit» von Rutger Bregman. Ein Buch, das gewisse weltgeschichtliche Erfahrungen aber auch psychologische Experimente nochmals aufrollt und das Bild, eigentlich seien wir alles Egoisten, abbaut. Eigentlich sind wir stark soziale Wesen, die ganz viel auch gut machen. Nur in Sachen wie einer Pandemie sieht man das wie nicht mehr.

 

Ihre Nachfolge als Kantonsarzt tritt Simon Fuchs an. Ich nehme an, Sie haben ihn gut gebrieft. Was war der wichtigste Tipp, den Sie ihm mit auf den Weg gegeben haben?

Es ist ja immer so eine Sache mit den Ratschlägen, dass man die Leute letztlich damit etwas erschlägt. Daher mache ich das selten. Ich glaube, raten, sich selbst zu bleiben. Aber ich arbeite mit Simon Fuchs seit rund zehn Jahren zusammen. Ich weiss, er hat sehr viele Erfahrungen. Wir sind eine sehr gute Ergänzung auch von den Typen her gewesen. Er wird wieder neu in diese Situation hereinwachsen und ich bin überzeugt, das kommt gut.

 

Es war nun ihr erstes Wochenende losgelöst von sehr viel Verantwortung. Wie hat sich das angefühlt?

Ich entziehe mich teilweise von der Arbeit. Mein Bild ist auch geprägt aus persönlichen Erfahrungen anderer Menschen, die pensioniert wurden, sodass ich nicht einfach sage, jetzt sind Ferien und jetzt habe ich es verdient, mich drei Wochen lang zu erholen. Typischerweise falle ich dann in ein Loch, das weiss ich aus früheren Punkten. Und das fühlt sich gar nicht gut an. Dieses Mal versuche ich es etwas anders. Ich arbeite im Moment etwa zu 80 Prozent an privaten Projekten, ich gebe mir mehr Freiraum. Das heisst, wenn ich, während ich eine Präsentationsfolie mache, Lust auf eine Schachpartie habe, dann hätte ich das im Büro natürlich nie getan und hätte ein schlechtes Gewissen gehabt. Jetzt mache ich es aber und fühle mich dann nach 20 Minuten wieder gut. Oder weniger gut, wenn ich verloren habe. Ich beginne langsam, mir mehr Luft zu geben. Aber ausser am Sonntag habe ich zum Beispiel nicht ausgeschlafen und am Sonntag haben meine Frau und ich in meinem neuen Büro Büchergestelle aufgestellt. Ich glaube, als Mensch ist es wichtig, etwas zu tun zu haben.

 

Gibt es etwas, wofür Sie jetzt Zeit haben, es wieder zu starten / neu zu lernen?

Es gibt eigentlich ganz viel. Es gibt Verschiedenes, was ich aktuell bespreche rund um ehrenamtliche Arbeiten. Das hat in den letzten 20 Jahren einfach nicht geklappt. Und dann habe ich auch wieder etwas mehr Zeit, zu schauen, wie Dinge funktionieren. Zum letzten Mal habe ich vor 20 Jahren eine Homepage gemacht und jetzt wieder für die neue Firma. Nach drei Stunden hatte ich das Gefühl, das begreife ich nie. Dann kam die innere Stimme, die sagte: «Jetzt wirst du alt.» Da habe ich mir gedacht, nein, ich werde es schaffen und jetzt funktioniert sie ganz gut. Das Gleiche ist mit PowerPoint, ich mache PowerPoint-Folien wie vor 15 Jahren. Es gibt heute viel mehr, was man mit diesen Tools machen kann. Es braucht einfach Zeit. Ich war gestern beinahe drei Stunden an einer ersten PowerPoint-Folie für einen Volkshochschulkurs. Ich dachte, wenn das so lange geht, werde ich zweimal pensioniert, bis ich diese Präsentation habe. Aber man kommt rein und es sind dann schon sehr coole Sachen von der Weiterentwicklung her.

Die Woche

Lesungen, Theater, Diskussion, Musik, Ausstellungen und vieles mehr: Die Woche gegen Rassismus 2019 in Basel bietet ein vielfältiges Programm, sie findet statt von: Montag, 18. März bis Sonntag, 24. März 2019

Radio X setzt in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Organisationen und Beteiligten ein Zeichen gegen Rassismus und andere Formen von Diskriminierung. Ziel ist es, die lokale Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren und gemeinsam in einen Dialog zu treten.

Während der ganzen Woche strahlt Radio X jeweils um 11:30 Uhr und um 16:30 Uhr thematische Beiträge aus.

Flyer Woche gegen Rassismus in Basel 2019

Medienmitteilung Woche gegen Rassismus 18.-24.3.19 mit Programm

 

 
Das Programm


Montag, 18. März 2019

Forumtheater "Sans Frontières" - Ein interaktiver Theaterabend zum Thema Diskriminierung und Rassismus. 

19.30 Uhr, KLARA (Clarastrasse 13)

Eintritt frei. 

 

Dienstag, 19. März 2019

Uni von unten: «Alltäglicher Ausnahmezustand: Racial Profiling in der Schweiz» mit Mohamed Wa Baile, Sarah Schilliger und Claudia Wilopo

19 Uhr, Internetcafé Planet 13 (Klybeckstrasse 60, 4057 Basel)

Eintritt frei.

 

Mittwoch, 20. März 2019

Liveübertragung Radio X, mit Interviews live vor Ort: Abendschule Import, Bla*ShTheater Niemandsland, Kulinarisches von Schnaboule Schnaboule und Musik zum Thema «Migration und Musik» mit Leila Moon.

17-22 Uhr, Keck Kiosk (Kaserne)

 

Ausstellung*: Bundes(asyl)lager- Zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregime Schweiz

ab 19 Uhr in der Carambolage (Erlenstrasse 34, 4058 Basel)

 

 

Donnerstag, 21. März 2019

Podiumsdiskussion «Racial Profiling» mit szenischen Sequenzen des Theaters Niemandsland.

Auf dem Podium: Michel Hostettler (Community Policing Kleinbasel), Tobias Burkhard (Ausbildungsleiter KaPo BS), Nahom Mehret (Schweizer, geb. in Eritrea), Yvonne Apiyo Brändle-Amolo (SP Politikerin Zürich, Künstlerin).

Moderation: Bernard Senn, SRF

Mit dabei: BastA!, STOPP Rassismus u.a.

19 Uhr, Offene Kirche Elisabethen

Eintritt frei. 

 

Ausstellung*: Bundes(asyl)lager- Zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregime Schweiz

ab 19 Uhr in der Carambolage (Erlenstrasse 34, 4058 Basel)

 

 

Freitag, 22. März 2019

Bla*Sh, Legion Seven, Brandy Butler (CH)

Mehrstimmige Lesung, Performance, Konzert, Büchertisch

19 Uhr (Doors: 18.30 Uhr), Rossstall II, Kaserne Basel

Eintritt frei.

 

Ausstellung*: Bundes(asyl)lager- Zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregime Schweiz

ab 19 Uhr in der Carambolage (Erlenstrasse 34, 4058 Basel)

 

 

Samstag, 23. März 2019

Afrika-Stadtrundgang des Zentrums für Afrikastudien

The tour will take place in English and is free of charge. Reservations are requested but not required. 

14 Uhr, meeting point: at the pyramides in front of the Offene Kirche Elisabethen

 

Offener Hörsaal: Interaktiver Parcours**, über Hürden und Weichen auf dem schweizerischen Bildungsweg

16.00-18.30 Uhr, Foyer Junges Theater Basel

Eintritt frei. 

 

Ausstellung*: Bundes(asyl)lager- Zunehmende Isolierung und Kontrolle im Migrationsregime Schweiz

ab 19 Uhr 

Input: Wie die Schweiz Migrant*innen 2019 isoliert und verwaltet.

20 Uhr in der Carambolage (Erlenstrasse 34, 4058 Basel)

 

 

 

Sonntag, 24. März 2019

Afrika-Stadtrundgang des Zentrums für Afrikastudien auf Deutsch

14 Uhr, Treffpunkt: Pyramiden-Platz (Elisabethenstrasse)

Reservierung erbeten, aber nicht zwingend erforderlich.

Eintritt frei.

 

 

Die Ausstellung beschäftigt sich mit der Neustrukturierung des Asylverfahrens und der Einführung der Bundeslager in der Schweiz. Mit der sogenannten Beschleunigung der Verfahren sollen Menschen effizienter verwaltet und ausgeschafft werden. Dafür nimmt das Staatssekretariat für Migration (SEM) Bundeslager in Betrieb, welche nicht nur die Unterbringung, sondern auch das gesamte Verfahren unter einem Dach zentralisieren und vereinheitlichen. Diese Praxis isoliert die betroffenen Menschen noch stärker vom Rest der Gesellschaft und lässt noch weniger Raum zur Selbstbestimmung. Um die Lagerpolitik umzusetzen, baut der Staat auf die Mitarbeit von Privatfirmen und NGOs.

 

** Bildungsparcours: Sprichst Du ausreichend Deutsch, um in der Schule mitzukommen? Wirst Du bei/auf deinem Bildungsweg unterstützt? Entsprichst Du den Bewertungskriterien des Schulsystems? Reicht das Geld für eine Ausbildung? Bringst Du die geforderten/nötigen Dokumente mit, um eine Ausbildung zu beginnen? Haben alle Menschen in der Schweiz dieselben Chancen auf Bildung? In einem interaktiven Parcours erfährst Du, welche Weichen gestellt werden und welche Hürden es zu überwinden gibt auf dem schweizerischen Bildungsweg. Ähnlich einem Leiter-Spiel, wirst Du, ausgestattet mit einer neuen Identität, unterschiedliche Aufgaben lösen, um Stufe für Stufe deinem Ziel näherzukommen.

 
Ausstrahlungstermine

 

Montag 18.3. - Sonntag, 24.3.19, täglich um 11.30 h (Wdh. 16.30 h)

Redaktionelle Beiträge auf Radio X zu diversen Themen in der Woche gegen Rassismus

u.a. mit FIASKO und STOPP Rassismus

 

Donnerstag 21.3., 18 h  & Samstag 23.3.19, 13 h

Sendung X-Plus von Schüler/innen der FMS Münchenstein

 

Samstag 23.3., 16 h & Sonntag 24.3.19, 10 h

Ausstrahlung der Podiumsdiskussion zu "Racial Profiling" vom Donnerstag 21.3.19 in der Offenen Kirche Elisabethen

Kontakt

tatiana.vieira@radiox.ch

rebecca.haeusel@radiox.ch

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