Von Intimität bis Unbehagen
Die Ausstellung „Reservoir“ der Basler Künstlerin Marie Matusz verwandelt das Obergeschoss der Kunsthalle Basel zu einem immersiven Erlebnis. Zwischen Dunkelheit, Reflexionen und einer fragmentierten Klangkulisse verschwimmen die Grenzen zwischen Betrachtenden und Kunst – ein Spiel mit Dualitäten, das zum Nachdenken anregt. von Noemie Keller
25.01.22 Marie Matusz Reservoir
Der Ausstellungsraum im Obergeschoss der Kunsthalle Basel ist bekannt für seine hellen, weissen Wände, die Fenster an der Decke, die Licht in den Raum fluten, und den warmen Parkettboden. Doch betritt man den Raum für die Ausstellung Reservoir der Basler Künstlerin Marie Matusz, wandelt sich die Atmosphäre komplett: Die Fenster sind verdunkelt, der Parkettboden von grauem Zink bedeckt, und Scheinwerfer werfen Lichtspiele an die Wände. Eine durchdringende Klangkulisse füllt den Raum und zieht die Besucher:innen in ihren Bann.
Die Ausstellung schafft ihre eigenen Bedingungen und verwischt dabei die Grenzen zwischen Betrachtenden und Teilnehmenden. Marie Matusz gelingt es, eine Dualität zu inszenieren, die Intimität und Begegnung, Distanz und Nähe, sowie Vergänglichkeit und Beständigkeit vereint.
Skulpturen und ihre Wirkung
Im gedämpften Licht des Raumes stehen drei grosse, kastenförmige Skulpturen. Dunkel bemalt und monolithisch, ziehen sie die Aufmerksamkeit auf sich. Umgeben von Plexiglas, spielen diese Werke mit Materialität und Transparenz. Beim Umrunden der Skulpturen spiegelt sich das eigene Antlitz in den Flächen des Plexiglases, manchmal streift der Blick auch eine andere Person auf der gegenüberliegenden Seite.
Diese Interaktionen schaffen eine Spannung zwischen Intimität und Begegnung, zwischen dem Akt des Betrachtens und dem Gefühl, selbst betrachtet zu werden. Es ist genau diese Dualität, mit der Marie Matusz arbeitet: fest und durchlässig, flüchtig und zugleich beständig.
Die Klangkulisse wirkt wie ein ferner Traum, fragmentierte Erinnerungen tauchen auf und verschwinden wieder, ohne greifbar zu werden. Die gedämpfte Beleuchtung und die akustischen Elemente laden dazu ein, innezuhalten und sich auf die eigene Wahrnehmung zu konzentrieren.
Gleichzeitig fängt der graue Boden die Spuren der Besucher:innen auf und macht die Kollektivität der Erfahrung sichtbar.
Am Ende des Raumes thront ein altes Bild aus der Sammlung des Basler Kunstvereins, gemalt von einem unbekannten Künstler. Das genaue Entstehungsdatum ist unklar, und das Werk zeigt deutliche Spuren der Zeit: Risse und ein Loch in der Leinwand. Es zeigt eine Art Fasnachtsumzug, bei dem die Männer als Schildkröten verkleidet sind. Trotz seiner kleinen Grösse prägt das Bild den Raum mit seiner Präsenz und kann als Symbol für patriarchale Machtstrukturen verstanden werden, die allgegenwärtig sind und jedes Geschehen rahmen.
Im zweiten Raum der Ausstellung findet sich ein weiteres Werk aus der Sammlung des Kunstvereins, welches den Werken von Matusz gegenübersteht: Ein grossformatiges Bild mit einem schwarzen Kreis und reflektierendem Silber. Davor stehen eiserne Zylinder, teils intakt, teils fragmentiert. Auch hier zieht sich die zuvor etablierte Dualität durch den Raum: Stabilität und Fragmentierung, Betrachtung und Beobachtung, Distanz und Einbindung. Diese Elemente werden erneut von den omnipräsenten, männlich geprägten Machtstrukturen gerahmt.
Der Titel der Ausstellung, "Reservoir", ist treffend gewählt. Ein Reservoir speichert etwas – zwischen Stillstand und Fluss. Genau diese Spannung spiegelt sich in den Werken von Marie Matusz wider, die bis zum 27. April in der Kunsthalle Basel zu erleben sind.