Ja, auch die Schweiz hat ein Racial Profiling Problem
Nichtwissen schützt nicht. Der Entscheid vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führt dazu, dass die Schweiz sich mit dem Problem von Racial Profiling auseinandersetzen muss. von Nahom Mehret
24.03.23 Racial Profiling
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt die Schweiz wegen Racial Profiling.
Im Jahr 2015 geriet Mohamed Wa Baile am Zürcher Hauptbahnhof in eine Polizeikontrolle. Er wurde als einziger von der Polizei herausgepickt und aufgefordert, sich auszuweisen. Wa Baile fragte nach dem Grund für die Kontrolle, erhielt jedoch keine klare Antwort. Daraufhin weigerte er sich, sich auszuweisen. Die Konsequenz: Ein Strafbefehl wegen Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen. Wa Baile war mit dem Urteil nicht einverstanden und ist der Meinung, dass die Kontrolle aufgrund von Racial Profiling motiviert war.
Unter Racial Profiling versteht man sämtliche diskriminierenden Personen- und Fahrzeugkontrollen gegenüber Gruppen, die von Polizistinnen und Polizisten als "fremd" identifiziert werden. Dies umfasst Handlungen, bei denen Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder anderer äusserer Merkmale wie Hautfarbe oder Sprache ohne konkrete Verdachtsmomente ins Visier genommen werden. Dabei liegt der Fokus auf der Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit oder wahrgenommener "Fremdheit" (humanrights.ch).
Wa Baile zog das Verfahren bis vor das Bundesgericht, aber auch dort wurde er abgewiesen. Schliesslich ging er bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo er recht bekam. Am 20. Februar 2024 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass im Fall der Polizeikontrolle von Wa Baile drei Verstösse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention vorlagen. Das Gericht entschied, dass erstens die Kontrolle diskriminierend war, weil sie aufgrund seiner Hautfarbe erfolgte. Zweitens hatte das Schweizer Gericht nicht ausreichend effektiv geprüft, ob die Kontrolle diskriminierend motiviert war, und drittens stand Mohamed Wa Baile bezüglich seiner Beschwerde vor den Schweizer Gerichten kein wirksames Rechtsmittel zur Verfügung.
Katharina Boerlin, Co-Leiterin des Vereins Sans-Papier, betont die Bedeutung des Gerichtsentscheids des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser macht deutlich, dass Racial Profiling auch in der Schweiz stattfindet. Bis heute wird von verschiedenen Stellen bestritten, dass Racial Profiling betrieben wird, wie zum Beispiel von der Kantonspolizei Basel-Stadt. In einer Stellungnahme, welche dem Radio X vorliegt, sagt die Kantonspolizei Basel-Stadt: "Die Kantonspolizei Basel-Stadt betreibt kein "Racial Profiling." Personenkontrollen seitens der Kantonspolizei richten sich nach den Vorgaben des Polizeigesetzes und finden nur statt, wenn ein begründeter Anfangsverdacht besteht."
Boerlin hält es für naiv zu glauben, dass bei der Basler Polizei kein Racial Profiling betrieben wird. Zahlen, die belegen könnten, dass Menschen in der Schweiz aufgrund von Racial Profiling kontrolliert werden, gibt es nicht. Dies könnte sich jedoch mit dem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ändern. Das Urteil zeigt, dass Racial Profiling auch in der Schweiz existiert. Nun ist es an der Politik, das Urteil ernst zu nehmen und mit neuen rechtlichen Leitlinien für Polizist:innen diskriminierenden Polizeikontrollen entgegenzuwirken. Eine schnelle Änderung ist jedoch nicht in Sicht. Dennoch ist der Fall von Mohamed Wa Baile wichtig, da er dazu führt, dass sich die Schweiz nun mit dem Phänomen des Racial Profilings in der Polizeiarbeit auseinandersetzen muss.
Die Allianz gegen Racial Profiling hat einen Flyer herausgegeben, der Menschen, welche von Racial Profiling betroffen sind, über ihre Rechte informiert: Kenn deine Rechte!