Wie würde eine Zeitung aussehen, die von lesbischen Journalistinnen mit Wurzeln im Balkan oder in Eritra gemacht wäre?

Der Journalismus ist eine Männerbranche. Dieser Erkenntnis gehen die Autorinnen Nora Bader und Andrea Fopp in ihrem Buch Frau Macht Medien nach und zeigen anhand Interviews, einige Blindspots der so bezeichneten vierten Gewalt auf. Lest hier das Interview. von Mirco Kaempf

"Ich merkte, dass mich Interviewpartner nicht ernst nehmen. Also natürlich männliche Interviewpartner. Vor allem, wenn es um politische Themen ging." Susan Boos (WoZ)

 

Vielleicht mal zu Afangs: Ist es problematisch, dass ich als Mann nun über dieses Buch berichte?

Andrea Fopp: Nein im Gegenteil, es ist doch super, wenn sich auch Männer für das Thema interessieren

Nora Bader: Finde ich auch. Ein Mann hat ja vielleicht auch nochmals andere Sichtweisen oder sieht andere Aspekte.

Liegt also der Hund begraben in der Tatsache, dass es nicht nur Männer gibt im Journalismus, sondern dass Solche immer über dieselben Themen schreiben?

AF Gleichstellungsthemen werden von männlichen Ressortleitern und Chefredaktoren gerne an die weibliche Journalist*Innen abgegeben. Doch in den letzten Jahren, gerade auch nach dem Frauenstreik und der Frauenbewegung war es so, dass Gleichstellung öfter auch in den Wirtschafts- oder Politikteilen Platz gefunden hat. 

NB Ja absolut. Man muss halt den Frauen auch die Chance geben, über andere, sogenannte "harte" Themen können zu berichten. News.. Politik.. Wirtschaft.. und es ist so, diese Themen werden oft halt einfach von Männern abgedeckt.

An wen richtet sich dieses Buch primär?

NB An jede und jeden eigentlich

AF Wir haben uns natürlich überlegt, ob das jemand anders als Journalist*innen überhaupt interessiert. Aber lustigerweise kriegen wir im Moment recht viel Feedback von Leserinnen, die gar nicht vom Journalismus her kommen und erzählen, dass viele dieser im Buch beschriebenen Probleme und Hürden, sie auch in ihrem Berufsalltag erleben.

NB Ich bekam recht viel Feedback von älteren Frauen die erzählten, dass sie bereits vor 50 Jahren gegen diese Probleme gekämpft haben und nicht realisiert hätten, dass diese heute noch genauso existieren. Das finde ich schon krass.

Habt ihr das Gefühl, Journalist*innen reden zu wenig über Journalismus? In eurem Buch sprechen mehrere Interviewte ja darüber, dass ein grosses Konkurrenzverhalten herrscht. Viele Journalisten geben den starken Mann und Unsicherheiten werden wegkaschiert, niemand darf sich schwach geben.

AF Seit dem Frauenstreik und seit die Frauenbewegung wieder aufgeflammt ist redet man auch über Frauen und den Medien. Simone Rau hat mit Kollegen für den Tages Anzeiger die Recherche veröffentlicht, wo es um sexuelle Belästigung von Medienfrauen und auch Medienmänner ging. Davor war es aber schon ziemlich still. Zwar haben Journalist*innen über sexuelle Belästigungen und Diskriminierungen von Politiker*Innen oder Berufsfrauen geschrieben, aber sich selbst hat die Branche sich nicht sehr in den Blick genommen. Das ändert sich nun aber langsam.

Bei all den Gesprächen mit den 15 Journalistinnen, was hat da überwogen: Waren das die Gemeinsamkeiten in ihren Schicksalen oder eher die Unterschiedlichkeiten der Sichtweisen?

AF Fast alle Journalistinnen haben ähnliche Erfahrungen gemacht, insofern, dass sie sich als junge Frauen nicht ernst genommen fühlten. Innerhalb der Redaktion wie auch mit Interviewpartner*Innen. Zwar nicht ganz alle - Bspw meinte Katharina Fontana (Weltwoche) sie habe nie Diskriminierung gespürt. Doch bei vielen anderen kam das schon so rüber. Was sich allerdings dann ziemlich unterschieden hat, waren die Schlussfolgerungen. So findet Susan Boos (WoZ), dass eine Frauenquote in den Medien ein gutes Mittel wäre, um besonders in den Kadern und den "harten" Wirtschafts und Politikressorts wo es nur 30% Frauen gibt, den Anteil zu erhöhen. Hingegen fanden andere man könne nichts machen, Frauen sollten einfach mutiger sein.

NB "Schicksal" ist ein grosses Wort. Aber es haben tatsächlich fast alle von ähnlichen Erfahrungen berichtet.

"Aus meiner Sicht brauchen Frauen keine spezielle Förderung - sie sind ja keine behinderten Wesen" Katharina Fontana (Weltwoche)

 

Journalismus müsse die Gesellschaft aufzeigen können. Ist es dewegen so wichtig, auf einen 50/50 Anteil zu kommen?

AF Andrea Bleicher (ex Blick) sagte: Wenn Ressortleiter*innen und Chefradakteur*innen sich bemühen würden, mehr Frauen in Wirtschaft und Politikressorts zu ziehen, dann gibt es auch mehr Frauen. Man muss nur wollen. Während andere wie Martina Fehr (Direktorin Maz) sagen, sie frage ja immer Frauen doch sei es halt schwierig. Ein Teil sagt also, die Frauen seien Schuld, weil ihnen der Mut fehle, die anderen sagen die Strukturen seien schuld.

NB Gerade auch Andrea Bleicher meinte, es könne keine Ausrede mehr sein zu sagen, es gebe keine Frauen. Man muss sie halt anstellen, ausbilden und ihnen auch eine Leitungsfunktion übertragen.

Ihr stellt im Buch die Frage, wie lange es eigentlich noch dauern wird, bis die lesbische Nigerianerin Leitartikel über die Schweizer Politik schreibt. Wie kann man so etwas fördern, wenn meistens sowieso nur Menschen aus privilegierten Positionen sich für Journalismus in der Schweiz interessieren?

NB Ich habe das Gefühl, das ist ein ähnlicher Ansatz wie eben besprochen. Das fängt wohl schon bei der Einstellungspolitik an. Man sollte auf Diversität Acht geben.

Leidet der Journalismus vielleicht darunter, dass er von Journalist*innen gemacht wird? Vielleicht sollten Redaktionsleiter*innen die Klybeckstrasse runterlaufen und sagen "Hey, du siehst cool aus, willst du nichtmal was versuchen bei uns auf der Redaktion?"

AF Ich finde schon, das ist absolut ein Ansatz. Was sicher nach wie vor sein muss, ist, dass die journalistischen Qualitätsstandards eingehalten werden müssen. Die ethischen Richtlinien des Presserates, dafür braucht es ausgebildete Journalist*innen. Aber es ist auch ganz klar so, dass Medien viel zu weit weg sind von der Bevölkerung, und viel zu fest in alten journalistischen Mustern und Jargons denken. Wenn man ab und zu raus geht auf die Strasse und Menschen das Mikrofon entgegenhält, kriegt man manchmal interessante Perspektiven zu hören, die Journalist*innen selber nicht haben.

NB Ja und gleichzeitig finde ich es schon wichtig, nicht zu unterschätzen wie anspruchsvoll dieser Job ist. Ich würde wahrscheinlich nicht, jedem ein Mikrofon in die Hand drücken und auf die Strasse schicken. Aber ein Versuch wert ist es wohl allemal.

Es wird immer mal wieder von etwaigen Klischees gesprochen. Frauen würden anders schreiben. Ist das so?

AF Das ist eine lustige Frage. Margrite Sprecher (Die Zeit, NZZ Folio) sagte uns, dass Frauen oft anders schreiben würden. So bspw mehr aus Sicht der Menschen, lebendige Geschichten erzählend und nicht einfach pseudo-objektiv Pressemitteilungen zusammentippend. Der Fluch sei allerdings, dass Frauen vielmals den alten Mustern der journalistischen Schreibe anpassen würden und hinterher ebenso langweilige Texte schreiben wie Männer. Das ist natürlich sehr provokativ ausgedrückt, ich finde ja auch viel Wirtschafts- und Poltiikberichterstattungen ist schon interessant geschrieben, doch wenn man mehr unterschiedliche Menschen hätte, die den Journalismus betreiben, dann kriegt man mehr unterschiedliche Perspektiven und auch mehr Schreibstile. War das eine Antwort?

NB Ja, ich glaube auch man kann nicht sagen, Frauen schreiben so und Männer schreiben so. 

"Niemand geht zu einem männlichen Reporter, der über Drogen schreibt und sagt: Du kokst doch selber wie ein Tubel, hast du das Gefühl, du kannst einen objektiven, journalistischen Beitrag zum Thema leisten? Das macht man nur bei feministischen Journalistinnen." Miriam Suter (freie Journalistin)

 

Am Maz hat uns mal ein Dozent gesagt, er wünsche sich, dass Kulturjournalist*innen über Eröffnungen von Verkerskreisel schreiben, Sportredaktor*innen über Sessionen im Bundeshaus und Politikkorrespondent*innen über Fussball berichten. Müssen Journalist*innen vielleicht generell öfters zu Themen greifen, wo sie nicht sicher sind?

AF Ich glaube Journalist*innen schreiben viel zu oft über diese Themen, über die sie denken, dass sie darüberschreiben müssten und zu wenig über das, was man als Leser gerne lesen möchte. Von dem her finde ich es eigentlich eine gute Idee, dass man mal eine Sportjournalistin in den Grossen Rat schickt und eine Politikjournalistin ins Stadion, weil es dann viel lebendiger wird. Ich meine viele Politikjournalist*innen sind ja Politiknerds und wissen extrem viel. Das ist wichtig, um einen Kommentar zu schreiben oder eine Einordnung. Aber es ist dann halt schon sehr oft detailbezogen, abstrakt und langweilig geschrieben.

NB Mann muss sich ja auch in den Leser hineinversetzen können und versuchen, diesen Menschen die Dinge zu erklären. Ich glaube, wenn man von außen herkommt, und nicht so fest im Thema drinsteckt, dann sieht man die Dinge vielleicht etwas anders, oder es fällt einem leichter, die Dinge zu erklären.

AF Und man getraut sich auch, blöde Fragen zu stellen, oder? Wenn man an sich selber den Anspruch hat, eine Expertin in einem Thema zu sein, traut man sich vielleicht auch gar nicht, die einfachen Fragen zu stellen. Man hätte das Gefühl, man entblöße sich. Dabei musst du dich als Journalistin manchmal entblößen, um interessante Sachen zu hören.

Das braucht natürlich Mut. Gerade für junge Journalistinnen kann das, so wird es auch im Buch beschrieben, schwierig sein. Außerdem wird mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen viel schneller unter harte Kritik gestellt werden, als Männer. Woran liegt das?

NB Das liegt halt eben daran, dass sie in der Minderheit sein. Man wird deshalb viel genauer beobachtet. Ich sehe das bei mir selber; Ich gebe mir immer so fest Mühe, mir keinen einzigen Fehler zu leisten, gerade in Bezug auf Fakten, weil man halt  darauf aufgehängt wird. Andrea Bleicher sagt im Buch auch mal, wieso sollte es nicht auch mal mittelmässig-gute Chefinnen geben? Mittelmässige Chefs gebe es ja auch mehr als genug.

Was habt ihr nach dem Schreiben dieses Buches für euch selber mitgenommen als Journalistinnen?

AF Ich nehme mir als Chefin ganz fest zu Herzen, dass ich Frauen einstelle und fördere. Wir haben jetzt bei Bajour eine Redaktion wo es vier frauen und zwei Männer hat plus Coleitung in der Chefredaktion. Ich habe ganz fest vorgenommen, das nie aus den Augen zu verlieren, sonder nimmer zu verfolgen.

NB Ich achte mich darauf, dass ich wirklich Praktikantinnen dabei unterstütze, dass sie das Wort erhalten an Redaktionssitzungen und ihnen Mut mache. Auch, dass ich mich selber nicht entmutigen lasse. Es hat mich insgesamt bestärkt, zu wissen, dass es vielen ähnlich geht.

War der Prozess des Schreibens für euch ein Stück gesellschaftlicher Aktivismus oder eher persönliche Recherche?

AF Wir sind ja selber Journalistinnen. Warum sollten wir so tun, als seien wir vom Problem nicht betroffen. Als Journalistin kann ich ja nicht über meine eigene Branche schreiben und so tun, als sei ich objektiv. Deswegen finde ich die Frage nach dem Aktivismus ein bisschen merkwürdig. Die kam auch während des Medienstreiks auf, wo männliche Journalisten den weiblichen sagten, sie sollten dort nicht mitmachen. Aber das ist ja absurd - Wenn jemand diese Branche verändern kann, dann sind es ja die Frauen* - mithilfe von den Männern*

NB Ich habe in meiner Arbeit auch immer versucht, politisch neutral zu sein. Doch in diesem Punkt wird man quasi gezwungen, zur Aktivistin zu werden.

AF Von dem her ja, hoffentlich ist es ein aktivistisches Buch.

Im Endeffekt hat wohl jeder Akt eine politische Konsequenz?

AF Vor allem, wenn man selbst betroffen ist.

NB Wir haben das Buch ja nicht für einen Arbeitgeber oder einen Verlag geschrieben.

AF Die Frage von wegen Aktivismus oder nicht wirkt auf mich wie eine Strategie, um Medienfrauen zu sagen sie sollen den Latz halten. Und wir wollen den Latz nicht halten und wenn wir deshalb als Aktivistinnen bezeichnet werden, ist es halt so. Hauptsache, wir haben etwas versucht.

Frau Macht Medien - erschienen im Zytglogge Verlag
Frau Macht Medien - erschienen im Zytglogge Verlag