HörSpielZeit
Das Projekt
Primarschüler/innen erarbeiten ihr eigenes Hörspiel.
Ein Projekt von Zuhören Schweiz, in Zusammenarbeit mit Radio X.
Weitere Informationen zu "HörSpielZeit": Info-Broschüre als Download.
Projektteam Radio X: Rebecca Häusel, Lukas Kurmann, Sebastian Doss, Sonja Radin
"Ich glaube an die Göttlichkeit" - Fat White Family im Interview
Musik ist heilig und die Welt sollte vielleicht so schnell wie möglich zu Grunde gehen. Eine der wichtigsten Rockbands Englands spielten am Freitag in Strasbourg. Eine Gelegenheit also, mit Songwriter Nathan Saoudi zu sprechen. von Mirco Kaempf
Einer ihrer schönsten Songs heisst "Goodbye Goebbels". Es war der Albumcloser ihres heroinübersteuerten Zweitlings Songs For Our Mothers aus dem Jahr 2016. Es ist eine Liebesballade aus der Sicht Adolf Hitlers, szenisch erzählt aus dem Führerbunker, kurz vor dem Ende. Verständlich, wer von solchen fiktiven Spielereien abgeschreckt sein sollte, doch lohnenswert für alle, die sich für Kunst an der Peripherie des Gewöhnlichen interessieren.
Die Fat White Family besetzen einen interessanten Kosmos. Ihrer Erscheinung liegen Anmassungen des Wahnsinns bei, doch sind sie auch durchdringt von einer verführerisch-perversen Wahrhaftigkeit. Während ihres Auftritts in Strasbourg orchestrieren sie eine politische Dringlichkeit, allderweil wandelnd zwischen Ekstase und Lethargie. Und die Rauschmittel sind nie fern. (Nach dem Konzert treffen wir Nathan Saoudi an, der im Publikum nach Drogen sucht). Doch ist es eine Band die mehr hergibt, als läppische Schockspielereien und zynischen Gräuelhumor. Sie sind aktuell eine der imposantesten Livebands, die das Kunststück geschafft haben, von Anfang an einen eigenen Sound zu finden, und diesen im neusten Release Serfs Up sogar noch weiter nach vorne zu treiben (hört & lest hier unseren Review!).
Musik wie Leben der Fat White Family scheinen tumultös. Auch innerhalb der Band gab es schon viele Wechsel; so durchlebten bereits rund 25 Mitglieder den Familienalltag dieser ehemaligen Hausbesetzerband: Lediglich 4 davon gehören zum festen Kern der Band. Einer davon ist Keyboarder Nathan Saoudi. Als Bruder des Frontmanns war dieser bisher der stille, beständige Mitstreiter, doch für das neue, synthlastige Album war zu grossen Teilen er verantwortlich. Wir trafen ihn vor dem Konzert in Strasbourg letzten Freitag zum Interview.
Ich nehme mal an, dein Bruder langweilt sich, immer dieselben Fragen beantworten zu müssen?
Ja, aber dafür liebe ich es, immer dieselben Fragen zu beantworten!
Lass uns doch über die aktuelle Tour sprechen. Nach einem Haufen Daten in der UK und Irland geht es jetzt weiter auf dem europäischen Festland. Ist das Chaos mittlerweile zur Routine geworden?
Naja, es ist entweder das oder Armut. Zum anderen macht es halt einfach Spass.
Auf Tour hat man ja immer viel Zeit totzuschlagen. Träumst du wenn du aus dem Fenster schaust, von einem höheren Ziel? Hast du sowas wie eine Vision für die Fat White Family?
Man hat kleinere Pläne, klar: sich zum nächsten Release arbeiten oder sowas. Aber ich glaube, wir sind nicht im Stande zu sagen, wir tun dies oder jenes und haben dann in 5 Jahren ein eigenes Haus oder sowas. Du machst einfach weiter, weil das ist einfach das einzige, wo du weisst, wie’s geht.
Dabei lebt eure Band doch gewissermassen von einem Narzissmus oder hegt zumindest ein grosses Ego.
Ja, wir haben wohl ein gewisses Ego. Aber ich selber sehe mich nicht wirklich als jemand, der die Merkmale eines Narzissten trägt.
Das ist wohl gesund?
Es mag gesund sein, aber ich weiss nicht, ob es gesund ist, nicht narzisstisch zu sein und in einer Band zu spielen. Man hätte sowas wie eine beschützende Sphäre um sich rum, die einen am Leben hält und einen von toxischen Einstrahlungen schützt. Ich wünschte, ich wäre narzisstischer, zumindest als Teil dieser Band.
Ein falscher Sinn von Sicherheit…
Ja. Ich habe ein Ego, aber ein Ego zu haben ist nichts Negatives. Aber ein musikalisches Ego zu haben ohne ebenfalls einen gewissen Narzissmus in sich zu tragen, ist gefährlich.
Nun in eurem Tourprogramm kann man nachlesen, dass Saul [Adamzcewski, Gitarrist] dieses Buch zu Ian Brady liest. Dabei geht es auch um Satanismus und wie wichtig das eigene Ego ist, um frei zu leben. Aber funktioniert das wirklich auch als Musiker? Gerade als Musiker muss man doch vor allem auf andere eingehen, Menschen, Klänge, Vibrationen…?
Ich bin da eher auf der anderen Seite. Ich glaube eher an die Göttlichkeit der Musik denn an das Satanistische. Klar hat es teils diabolische Elemente aber als Ganzes, als Sound, als Ansammlung von Noten und wie sie Menschen berühren können… Ja Satan mag auch drin stecken, aber er kämpft gegen Gott, weisst du was ich meine? Du machst einen Song und hörst plötzlich das Stück Musik auf dich zurückkommen, das hat definitiv etwas Heiliges.
Musik als Akt der Schöpfung also?
Ja, ich meine William Blake oder Walt Whitman glaubten auch nicht an den Gott im Himmel, sondern daran, dass wir alle Götter sind. Gott existiert in uns. Dieser Gedanke gefällt mir. Satanismus ist wie die 10 Gebote, nur dass man sie missachten soll und nur das tun, was einem grad gefällt. Ich meine, ich verstehe den Appeal, aber eigentlich ist es nur eine faule Ausrede für eine Welt, die fucked up ist, und um selber noch mehr fucked up zu sein. Wenn du wirklich an Satan glauben willst, dann kauf soviele Easyjet Flüge wie du kannst, ohne abzufliegen. Stopf dein Geld in Flüge um die Klimazerstörung zu beschleunigen. Das wäre richtiger Satanismus. Ich bin zwar sowas wie ein Punk, aber ich würde den Niedergang lieber beschleunigen als herauszuzögern.
Ihr tourt momentan das europäische Festland und vor einer Woche waren EU-Wahlen. Der grosse Rechtsruck ist ausgeblieben. Macht dich das optimistisch?
Schwierig zu sagen. Ich habe das Gefühl mittlerweile ist der politische Diskurs sehr viel direkter geworden. Das ist nicht schlecht, es gibt Probleme die müssen angesprochen werden. Und klar gibt es einige sehr polemische Figuren, doch muss man diesen auch zuhören. Die kommen ja nicht irgendwoher, sondern sprechen auch Probleme an, die offenbar auf sehr viel Resonanz stossen. Und wenn man diese einfach ignorieren will, macht das alles schlimmer. Ich bin in Nordirland aufgewachsen. Das liegt ja auch in Europa und dort war es schon immer ein Shithole. Mir kann niemand sagen, man hätte dort nichts kommen sehen. Aber man hat Probleme ignoriert. Das ist dann wie ein nicht zu Ende gegessenes Huhn. Und, anstatt es zu entsorgen, lässt du es einfach mitten im Zimmer stehen. Irgendwann beginnt es zu modern und der Gestank breitet sich immer weiter aus.
In eurem Land wird nun seit 3 langen Jahren der Brexit diskutiert. Ich stelle mir das sehr ermüdend vor. Was eigentlich ziemlich erschreckend ist, wenn man bedenkt, welch gewaltige Konsequenzen das bedeutet. In eurer Band verfolgt ihr auch seit vielen Jahren einen gewissen Schockfaktor. Dieser ist nun subtiler geworden – Meinst du, es ist gefährlich, immer dasselbe zu machen?
Als Musiker oder als Mensch?
Läuft doch auf dasselbe hinaus, oder?
Nein, das glaube ich nicht. Klar, wenn du immer nur denselben Song spielst, wirst du dich langweilen. Aber schau dir die Ramones an. Die haben was Eigenes erschaffen und die wurden nie langweilig. Aber wenn du eine junge Band im 21. Jahrhundert bist, wirst du nichts Eigenes mehr kreieren können, du wirst eher vieles übernehmen. Es ist sicher ein guter Ratschlag, sich Änderungen zu stellen. Leute sagen immer, bleib du selbst, aber du bist niemals perfekt. Perfektion gibt es auch gar nicht, das wäre ja langweilig. Also musst du dich verändern.
Aber Fat White Family haben doch auch ihren ganz eigenen Sound kreiert. Selbst jetzt, wo das neue Album ganz anders klingt, hat es immer noch diesen Fat White Family Sound. Was denkst du sind eure Hauptzutaten hierfür?
Liebe, pure Liebe.
Ach ja? Wärt ihr dann nicht einfach Singer-Songwriters in intimen Clubs oder sowas?
Nein, Liebe ist ein grosses Spektrum. Es fängt klein an und geht sehr weit. Ich kann die Frage aber auch nicht wirklich besonders gut beantworten, weil ich mittendrin bin und es nicht von Aussen beurteilen kann.
Feet, die von Nathan komponierte B-Seite.
Wenn du einen Rat an all jene geben könntest, die sich ein Instrument oder ein Mikrofon schnappen wollen um Musik zu machen, was wäre das?
Hmm, habt keine Erwartungen und wenn es sich gut anfühlt, tut es. Und wenns keinen Spass macht, hört auf.
Ist das der romantische William Blake Approach?
Keine Ahnung ob das William Blake sagen würde. Aber ja, mir geht es darum Spass, zu haben. Wenn es keinen Spass macht, ist es Scheisse. Ich hab mal Gitarre gespielt, aber es war doof. Dann bin ich zu den Keys gekommen, das hat Spass gemacht.
Würdest du Kinder in die Welt setzen?
Ja klar, soviele wie möglich! Beschleunigt den Klimazerfall!
Danke für das Interview!
Die Band spielte vergangenen Freitag in La Laiterie in Strasbourg. Folgt der Fat White Family auf Bandcamp | Domino | Facebook | Instagram