
A Meeting with... Lewsberg
In This House von Lewsberg erschien am ersten Tag des niederländischen Corona-Lockdowns – eine Veröffentlichung ohne Tour, fast unbemerkt. Fünf Jahre später treffen wir in Rotterdam zwei ehemalige Mitglieder der inzwischen aufgelösten Band. Im Gespräch mit Arie van Vliet und Shalita Dietrich reden wir über unperfekte Musik, das Verschwinden kreativer Freiräume durch Gentrifizierung – und daüber, wie man als Band einen eigenen Sound findet, ohne die Einflüsse zu verstecken. von Mirco Kaempf
25.05.30 Lewsberg
Ein Interview mit Arie van Vliet und Shalita Dietrich über das zweite Album ihrer Band Lewsberg aus Rotterdam
Recorded at "Floor", Rotterdam on 29th of April 2025 You can read an english portrait of the encounter here
Wir treffen die beiden Musiker:innen in ihrer Heimatstadt Rotterdam – eine Stadt geprägt von viel Beton, Neubauten und moderner Architektur, die vor rund fünfzehn Jahren noch ganz anders aussah als heute. Sie erzählen uns, dass es früher viel Raum für kreative Menschen gab, um sich auszutoben, doch in den letzten Jahren habe so etwas wie Hyper-Gentrifizierung stattgefunden. Die Mieten seien so teuer geworden, dass man sich kaum noch bewegen könne, Veranstaltungsorte müssten schließen – Orte für Kunst und Gemeinschaften seien also quasi am Aussterben. Die Musik von Lewsberg hingegen ist trotzig. Sie liebt falsche Töne, zynische Texte und defekte Klänge – point in case, der Opener des Albums In This House, "Left Turn"
Entstanden sind die Songs von Lewsberg während extrem heißer Sommertage in Den Haag im Sahara Sound Studio. Sie erinnern sich an den Hund des Produzenten, der wild herumrannte, irgendwann auf den Teppich kackte – und Shalita erwähnt beiläufig, dass ihr damaliger Freund zu dieser Zeit gerade ins Gefängnis musste. Was für das normale Publikum wie spannende Geschichten klingt, sind für Lewsberg alltägliche Momente. Was Songwriter Arie van Vliet nämlich wirklich interessiert, sind die kleinen Geschichten. Für ihn spielt sich das große Drama ab, wenn ein Mensch, der jeden Tag zur Arbeit geht, mittags nie ein alkoholisches Getränk trinkt – und eines Tages doch. Wenn ein unerwarteter Riss im Mikrokosmos entsteht, dann fängt das sein Interesse.
Q: Reading interviews with you, it sometimes feels like this aesthetic is straight out of the [dutch writer] Robert Loesberg book ["Enige Defecten"]. But is that really true, or just a convenient narrative?
Arie: No, it’s not really true at all. Maybe the subversive aspect is there, in a way. I remember reading the book and realizing that it’s possible to be subversive in a boring and straightforward way. That idea stuck with me. But honestly, there are parts of the book I really dislike too. Maybe that’s a good thing.
Q: Arie says he likes boring things. Do you think that’s true?
Shalita: No. I think he wants to like boring things. Otherwise, he wouldn’t have lived with me for so long.
Das passt durchaus zur Musik. Was motorisch und repetitiv klingt, hat einen Drive. Und was wirkt wie ein gelangweilter, nerdiger Sprechgesang, erzeugt Spannung – vermutlich gerade, weil alle Lyrics so klar und lakonisch daherkommen. Zu Beginn des Interviews fragen wir Arie, welche Rolle die von Warhol produzierte Band Velvet Underground und Lou Reed für Lewsberg spielt. Arie sagt, er liebe ihre Direktheit und höre sie auch heute noch gern. Die Musik von Lewsberg aber sei nicht kalkuliert – er könne einfach nicht anders. Und wenn man ihm so zuhört, klingen seine Interviewantworten plötzlich selbst wie Songtexte – man glaubt es ihm sofort.

Einflüsse und Inspirationen, auch wenn man sie klar heraushört, sind – das wird während des Interviews deutlich – nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Unsere Vorlieben sind es, die unsere Kunst vorantreiben. Es gibt nichts Neues in der Kunst, alles baut aufeinander auf – das hört man von gewissen Kunstschaffenden immer wieder. Und wer künstliche Mauern um sich errichtet, verschließt sich den Möglichkeiten zum weiteren Austausch. Genau das, sagen sie uns, passiere gerade in Rotterdam. Hyper-Gentrifizierung nennen sie das – ein Gift für Nachbarschaften und für künstlerisches Schaffen. Seit 2014 ist die rechtspopulistische Partei „Leefbaar Rotterdam“ Teil einer Regierungskoalition und bestimmt die Stadtpolitik mit.
Auch das Albumcover von In This House erzählt eine eigene Geschichte. Es ist ein quadratisches Foto, so stark manipuliert, dass man nur noch ein schwarzes Quadrat sieht – etwa so wie das Quadrat des russischen Avantgardisten Malewitsch. Wie auch die Lyrics, die so viel andeuten, dient dieses Motiv als Spiegel der Musik, sagen sie uns. Man könnte das Cover aber auch als ein Stück Rotterdam interpretieren – wie einen großen, schweren Betonblock, ein Nachkriegs-Neubau. Oder wie einen Baustein der Stadt mit der Frage: Baut man etwas auf oder verbaut man etwas?
Shalita: When I think about Rotterdam 15 years ago—or even just my street—it’s changed a lot. Rotterdam has always been a poor city. It was kind of a ghetto back in the day.
Arie: Yeah, even 15 years ago it was very different.
Shalita: Now it’s becoming more and more like Amsterdam—which isn’t a good thing. Everything is crazy expensive. I can’t move. None of the people I know can move either, because we simply can’t afford the rent.
Arie: Yeah, and that makes it really hard to start something new. Any new initiative has to be a success immediately, because of the high costs—like if you want to open a venue, for example. There’s just not much room left for experimenting.
Wer sich Einflüssen verschliesst, verbaut sich die Welt. In This House von Lewsberg hat von der internationalen Musikpresse einiges an Lob bekommen. Doch es erschien am ersten Tag des Corona-Lockdowns – rund 50 Gigs mussten abgesagt werden. Arie war so deprimiert, dass er ein halbes Jahr lang nicht spielte und sich einen Bart wachsen ließ. Ein weiteres Lewsberg-Album erschien ein Jahr später – es schlug einen anderen Ton an. In Your Hands ist stiller, fast so, als würde die Band mit Stille malen, statt mit Motorik und Zynismus. Wie auf In This House hat die Band hier mehr gesagt, als man zunächst hört. Vorletztes Jahr erschien noch ein weiteres Album mit dem Titel Out and About – mittlerweile hat sich Lewsberg aufgelöst.
Arie
Rotterdam used to be poor, but very welcoming. Now it’s getting richer, and a lot of people are being pushed out. It’s not as open anymore.
So betrachtet ist In This House von Lewsberg nicht nur ein Memento einer Band auf ihrem Post-Punk-Höhepunkt, sondern auch ein Vermächtnis einer Stadt – Rotterdam – die Bands wie Lewsberg hervorbringt. Die nicht davor zurückschrecken, einen ganzen Song auf einem Album zu lassen, bei dem eine völlig verzogene Gitarre im Vordergrund steht. Die Imperfektion zulassen. Und die stolz sind auf ihre Einflüsse, die von außen zu ihnen gefunden haben. Diesen Geist tragen beide Musiker:innen natürlich weiter. Shalita Dietrich spielt wieder vermehrt mit ihrer Punk-/Theater-produzierenden Band Venus Tropiceaux, und Arie van Vliet hat mit der Sängerin von The Klittens ein neues Duo gegründet – The Hobknobs. Er erzählt, dass er das Songwriting völlig neu lernen musste – und dass er Angst habe, die Leute könnten es als Singer-Songwriter-Musik bezeichnen.
Q: Arie, you just released three songs as The Hobknobs. Is there any thread connecting this to your previous work with Lewsberg?
Shalita: I haven’t listened to the new stuff yet.
Arie: (laughs) No, I didn’t try to avoid a connection on purpose, but for me, it feels very different. With Lewsberg, we had a shared language. We knew what the other wanted, how to make music together. This was like starting from scratch.
Shalita: And your new collaborator doesn’t write music?
Arie: No instruments, no. But she has a lot of ideas. She'll sing a melody, and I build from that. It changes how I approach things.
Shalita: It’s more pretty, I think. The sound.
Arie: Maybe, yeah. But I was also very aware that it could fall into singer-songwriter territory. After our first show, my girlfriend said, "This is a singer-songwriter set." And she meant it as a compliment, but I was like, "Oh no."
Shalita: You ignored the email we sent when we were looking for a singer-songwriter!
Arie: (laughs) Yeah, I didn’t reply. Sorry.
Q: That label — "singer-songwriter"— it carries so much baggage. Especially with white guys and guitars.
Arie: Exactly. That fear of being generic is always there. But we’re trying to make something that feels necessary, even if it comes from a place of pessimism.
Shalita: Pessimism as a creative tool.
Arie: Yeah. It’s so pessimistic that doing anything feels optimistic. Like, what else are we going to do? This world sucks. Let’s make something else.
Q: So what’s next for the Hobknobs?
Arie: Hopefully more shows. We have some summer gigs lined up, and we’re planning to tour Austria and Switzerland in the fall. We’re also working on an album.
Shalita: You’re fast, man.
Arie: Time is running out.