Nachhaltig, aber benachteiligt – warum der Zug keine faire Chance hat

Die Bahn ist das klimafreundlichste Verkehrsmittel – und wird beim reisen trotzdem kaum genutzt. Woran liegt das? Dieser Beitrag zeigt, warum Zugreisen in Europa strukturell benachteiligt sind und weshalb es für echte Veränderung mehr braucht als nur gute Vorsätze. von Nahom Mehret

Zug statt Flug? - Warum nachhaltig nicht immer logisch ist.25.07.23

Zug statt Flug? - Warum nachhaltig nicht immer logisch ist.

Es ist Sommer – und damit auch Hochsaison fürs Reisen. Ob an die Küste, in eine fremde Stadt oder quer durch Europa: Die Wege sind oft weit, die Verkehrsmittel frei wählbar.
Doch eine zentrale Frage bleibt: Wie reisen wir – und zu welchem Preis für Umwelt und Gesellschaft?

Wer den CO₂-Abdruck seiner Ferienreise möglichst klein halten will, landet schnell beim Zug. Und das zurecht. Die Bahn ist das klimafreundlichste Verkehrsmittel, mit rund 90 Prozent weniger Emissionen als das Flugzeug – selbst im Vergleich zum Auto schneidet sie deutlich besser ab. Besonders, wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt.

Nachfrage ja – Realität nein

Tatsächlich zeigt eine Umfrage der „Community of European Railway and Infrastructure Companies“ (CER):
Drei Viertel der Menschen in Europa wären bereit, auf Kurz- und Mittelstrecken den Zug statt das Flugzeug zu nehmen – wenn die Verbindungen schnell, direkt und zuverlässig wären.

Doch die Realität sieht anders aus:
Nur etwa 7 % aller Reisen in Europa werden mit dem Zug gemacht. Das Auto wird zehnmal häufiger genutzt, das Flugzeug doppelt so oft.

Strukturprobleme statt Mobilitätswende

Die Gründe sind strukturell – und hausgemacht. In vielen europäischen Ländern wurde das Bahnnetz jahrzehntelang vernachlässigt. Internationale Verbindungen sind lückenhaft, langsam oder unzuverlässig. Wer grenzüberschreitend reisen will, muss oft mehrere Buchungsplattformen nutzen, für jedes Land einzeln. Preisvergleiche sind mühsam, durchgehende Tickets selten.

Die Bahn sei dadurch nicht nur weniger sichtbar – sie werde aktiv benachteiligt. Während Fluglinien von Steuerprivilegien profitieren, fehlt der Bahn vielerorts das politische Commitment.

Die Schweiz als Ausnahme

Ein Gegenbeispiel: die Schweiz. Hier funktioniert das System – das Bahnnetz ist dicht, die Anschlüsse zuverlässig, das Buchungssystem zentral. 2024 lag die Pünktlichkeit bei 93,2 %. Die SBB gehört weltweit zu den Spitzenreitern. Doch auch hier ist klar: Das kostet. Der Bund plant allein von 2025 bis 2028 16,4 Milliarden Franken in die Bahninfrastruktur zu investieren.

Was ist mit Nachtzügen?

Nachtzüge gelten als klimafreundliche Alternative zum Flugverkehr auf längeren Strecken.
Basel–Berlin, Zürich–Rom, Wien–Amsterdam – alles möglich, ganz ohne Umsteigen. Aber: Das Angebot ist gering, oft ausgebucht – und hinkt der steigenden Nachfrage weit hinterher.

Was es braucht

Damit mehr Menschen tatsächlich auf die Bahn umsteigen, braucht es mehr als gute Absichten. Es braucht eine Infrastruktur, die mit dem Flugzeug mithalten kann.
Verbindungen, die direkt, zuverlässig und einfach buchbar sind – nicht nur innerhalb eines Landes, sondern europaweit. Es braucht Preise, die nicht abschrecken.
Und es braucht politischen Willen, der nachhaltige Mobilität nicht nur predigt, sondern ermöglicht. Solange die klimafreundlichste Reiseform systematisch benachteiligt wird, bleibt der Zug oft zweite Wahl – obwohl er längst die bessere wäre.

Dabei wäre alles da: das Wissen, die Technik, sogar die Nachfrage. Jetzt fehlt nur noch das konsequente Handeln – von der Politik. Nicht national, nicht isoliert – sondern länderübergreifend, europäisch koordiniert. Damit nachhaltiges Reisen nicht nur ein schönes Ideal bleibt – sondern endlich zur ersten Option wird.