
In Freiheit welken: The Punk Rock Birdwatching Club
Es liegt eine besondere Schönheit in der Bedeutungslosigkeit. Die Menschen, die danach suchen, stehen auf schlammigen Feldern und beobachten Vögel, schuften in holländischen Blumenfabriken oder wachen verkatert auf – nach einer durchfeierten Nacht in einem besetzten Haus. Es sind Geschichten, die ebenso gut in Vergessenheit geraten könnten, der Künstler und Musikjournalist Richard Foster jedoch, hat sie aufgeschrieben. von Mirco Kaempf
25.04.23 The Punk Rock Birdwatching Club
The Punk Rock Birdwatching Club ist das zweite Buch des britischen Autors Richard Foster, erschienen im Ortac Press Verlag
Richard Foster schreibt direkt, zynisch, mit schnoddrigem Witz und viel Melancholie. Genau so, wie man es vielleicht von einem rund 50-jährigen Engländer erwarten würde, der einst mit Punk sozialisiert wurde. Er ist Künstler, Musikjournalist, Historiker – und vor 25 Jahren tat er das, was damals viele junge Menschen aus ganz Europa machten: Für drei Monate in die Niederlande ziehen, um Saisonarbeit in Blumenfeldern oder -fabriken zu machen. Viele blieben länger, lebten in Wohnwägen oder besetzten leerstehende Häuser, organisierten Partys und Konzerte. All das ist heute im Raum Leiden kaum noch denkbar – zu kommerzialisiert, zu viele Cafés, die nur noch Zucker und Flat Whites servieren.
“there is this kind of idea of getting it down, because a history of 20 years ago is a history that often gets missed [...] that's what I wanted to reflect in the book.”
Die Geschichten in The Punk Rock Birdwatching Club wollen diesen flüchtigen Momenten, die im Lauf der Zeit zu verschwinden drohen, Raum geben – und sie für Leser:innen erlebbar machen - Ganz im Sinne eines Archivars, oder Kurator kultureller Zustände. Es sind Geschichten aus der Niederlanden der frühen 2000er, von einem Alltag, der geprägt war vom Älterwerden: von der Zeit vor dem Brexit und nach der Euro-Einführung, vom täglichen Abmühen bei Saisonarbeit in Tulpenfabriken – stets begleitet von der zugrunde liegenden Idee, dass in der Bedeutungslosigkeit eine gewisse Schönheit liegt. Wir haben den Autor in Leiden in den Niederlanden getroffen und sitzen mit ihm an einem Fluss, der ursprünglich einmal der Rhein gewesen ist.
"I think there’s a certain cynicism in the fact that what’s replaced what we’ve lost just isn’t as interesting or full of potential. There’s not as much space anymore for people to simply be a mess. You know—like Kurt Vonnegut said—you just want to mess around, and that in itself can be artistic. But now, even that idea of “messing about” has been hijacked by the pressure to be creative, which is kind of awful."
Im Interview spricht Richard Foster beinahe wie seine Figuren. Die Charaktere in seinen Kurzgeschichten sind dem echten Leben entnommen: Saisonarbeiter:innen mit Drogenproblemen, launisch, meinungsstark, Ornithologen aus Leidenschaft, unterwegs mit ihren Rädern durch eine sich wandelnde Stadt. Sie fahren auf deutsche Festivals und brechen sich ihre Rippen oder stammeln sich mit gebrochenem Niederländisch durch konservative Familienbesuche. Die Geschichten sind bewusst anekdotisch gehalten – flüchtig, ephemer. Genau solche Geschichten gilt es, wie Foster sagt, zu bewahren, weil sie in der Geschichtsschreibung oft übersehen werden.
Es zieht sich ein klarer Zwiespalt durch viele dieser Erzählungen: Warum blickt ein Land mit so offenen Grenzen so herablassend auf migrantische Arbeitskräfte? Warum haben viele Familien Eltern oder Großeltern mit Wurzeln außerhalb der Niederlande – aber bei Familienfeiern wird nur Niederländisch akzeptiert? Warum rackern sich junge Leute in Tulpenfabriken ab, statt in der Heimat ein Haus zu kaufen – und sind sie dort wirklich freier?
“I just, I'm really fascinated by time, the idea of, like, what is it, you know?”
Zeit – das ist für Foster ein zentraler Begriff. Unterschiedlich wahrgenommen, abhängig von Lebensumständen, Perspektive, sozialem Stand. Ein Konstrukt, das uns zusammenhält – oder voneinander trennt. Besonders im Rückblick stellt sich die Frage: Wofür das alles? All die Energie, all die Gedanken, was andere über uns denken – besonders dann, wenn man ganz unten steht, am Fließband, beim LKW-Beladen, ständig unter Druck, ständig austauschbar. Vielleicht, so sinniert Foster, ist Zeit einfach Energie. Und diese Energie ist begrenzt.
The Punk Rock Birdwatching Club ist nach 'Flower Factory' das zweite Buch von Richard Foster, herausgegeben via Ortac Press. Im kommenden Buch wird er sich auf seine weise mit der Musikindustrie auseinandersetzen. Wenn er nicht an Büchern schreibt, schreibt er u.a. für die Musikmagazine The Quietus, Louder Than War, führt das digitale Museum of Photocopies oder arbeitet an PINS.
